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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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herum.
    „Zehn Euro“, murmelt Jakob, als sie außer Hörweite ist. „Die Konkurrenz wird kaum an sich halten können vor Dankbarkeit.“
    Karsten, der neben der Kasse steht und gerade aus seiner Wasserflasche trinkt, prustet und verschluckt sich lachend. Jakobs Mitarbeiter ist ein stämmiger, gutmütiger Blondschopf mit breiten Händen und einem roten Gesicht. Den Vormittag hat er damit verbracht, eine ganze Ladung neuer Terrakotta-Töpfe mit bunten Sommerblumen zu bepflanzen: pinkfarbene Geranien, gelbe Husarenknöpfchen, weißrote Fuchsien, aufgelockert mit Efeu oder kleinen, immergrünen Stauden. Die Kunden werden zusehends fauler. Immer mehr Menschen bevorzugen den Kauf fertig bepflanzter Kästen und Kübel für ihren Balkon oder ihre Terrasse; die wenigsten haben noch die Muße oder die Lust, sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Blumen to go hat Karsten diese Entwicklung getauft. Jakob kann sie nur recht sein, dadurch erhöht sich die Gewinnmarge seines Geschäfts.
    „Hast du mal einen Moment Zeit?“, fragt Karsten.
    „Klar. Ist irgendwas?“
    „Na ja, es ist so …“ Karsten druckst herum und starrt auf seine groben Arbeitsschuhe, an denen Erde klebt. „Du weißt doch, dass Anni und ich heiraten wollen nächsten Monat.“
    „Du hast mich zu eurer Hochzeit eingeladen“, erinnert ihn Jakob. „Natürlich.“ Karsten hat Anni vor einem Jahr auf einer Gartenmesse in Holland kennengelernt, wo sie den Betrieb ihres Vaters vertreten hat, ein kleines Gärtnerei-Imperium mit vier oder fünf Filialen über die ganzen Niederlande verstreut.
    „Es ist nur so …“, murmelt Karsten. „Annis Vater hat mir einen Job angeboten. Er möchte, dass ich die Leitung des Betriebs in Nijmegen übernehme.“
    Jakob runzelt die Stirn. „Ich verstehe.“
    „Das ist für mich eine große Chance“, verteidigt sich Karsten.
    „Keine Frage“, seufzt Jakob. „Wann willst du aufhören?“
    „Na ja, Anni und ich fliegen nach der Hochzeit für zwei Wochen in die Karibik. Ich dachte, direkt danach …“
    Jakob überschlägt schnell, wie viel Resturlaub Karsten noch zusteht. „Dann wäre ja nächste Woche dein letzter Arbeitstag!“, sagt er entsetzt. „Wo soll ich so schnell Ersatz für dich herkriegen?“
    „Es tut mir leid. Ich wollte dir keine zusätzlichen Probleme verursachen.“ Karsten – genau wie Ahmed, Jakobs zweiter Mitarbeiter – hat natürlich mitbekommen, dass Arne gegangen ist.
    Für einen Moment ist Jakob versucht, Karsten auf den Arbeitsvertrag hinzuweisen und auf die gesetzlichen Kündigungsfristen. Wenn er wollte, könnte er ihm die Bitte abschlagen und ihn ein paar Wochen länger halten, aber das würde nicht seinem Stil entsprechen. Er hat immer Wert auf eine freundschaftliche Atmosphäre im Betrieb gelegt. Dann kommt ihm plötzlich eine Idee. „Kannst du wenigstens noch eine Woche dranhängen und deinen Nachfolger einarbeiten?“
    Am Abend, als er gegen sieben Uhr nach Hause kommt, findet er Philip auf der Couch vor dem Fernseher. Der Junge hat die DVD-Sammlung entdeckt und sieht sich Johnny Depps Fluch der Karibik an. Sein geschwollenes Auge blüht inzwischen in allen Regenbogenfarben, die Schwellung an der Lippe ist allerdings zurückgegangen. Auf seinem Bauch – ein völlig glatter Bauch, ohne ein einziges Gramm Fett, wie Jakob zum wiederholten Mal neidisch registriert – thront ein voller Aschenbecher und neben ihm auf dem Boden steht eine halbleere Flasche Bier.
    „Wieso ist Jack Sparrow so tuntig?“, fragt er.
    „Weil es witzig ist.“ Jakob lässt sich müde neben Philip fallen. Er nimmt ihm die Fernbedienung ab und schaltet auf Pause.
    „Ey, Mann, ich gucke hier gerade was!“, mault Philip.
    „Hättest du Lust, mal auf einem ganz anderen Gebiet zu arbeiten als bisher?“
    „Häh?“
    „Etwas, das ein bisschen mehr Zukunftsperspektive bietet.“
    „Aber ich ficke gerne für Kohle. Das ist echt okay, solange ich mir die Typen selbst aussuchen kann. Und ich hab viel Freizeit.“
    „Ja, und nebenbei wirst du verprügelt.“
    „Die Wichser haben mich nicht zusammengeschlagen, weil ich einen auf Escort mache, sondern weil ich schwul bin“, sagt Philip und angelt nach der Fernbedienung.
    Jakob zieht seine Hand außer Reichweite. „Trotzdem. Bei mir in der Gärtnerei wird eine Stelle frei. Ich würde dich richtig anstellen, so mit Sozialabgaben und allem. Du hättest ein geregeltes Einkommen, eine Krankenversicherung und könntest dir eine eigene Wohnung suchen.“
    Philip

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