Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
auf.
»Aber ich hab keinen Bock zu kochen, deshalb lebe ich seit anderthalb Jahren von Toast. Im Übungsraum essen wir auch nichts anderes. Und wenn ich abends heimkomme, ist es das Einfachste.« Sie holt Essen aus dem Kühlschrank und stellt es auf den Tisch.
»Sie haben einen Spezialisten konsultiert, um herauszufinden, ob man wirklich von Toast leben kann, ohne krank zu werden. Hat sie ne Stange Geld gekostet.«
Camillas Lachen beginnt im Hals und endet irgendwo in der Nase. Es klingt seltsam, aber ich mag es. So lacht jemand, dem alles egal ist, oder der nur in Gesellschaft anderer schwarz gekleideter Mädchen in einem feuchten, schalldichten Container lachen kann.
»Wir können auch eine Pizza bestellen, das hier sind schlechte Tischsitten.«
Ich schüttle den Kopf, bin mehr neugierig als hungrig.
Sie holt einen Teller mit kaltem Hühnchen aus dem Kühlschrank, ein Glas Barbecuesoße und eine rote Paprika.
»Wenn es zwischen zwei Stücke Brot passt, ist es ein Toast. So lautet die Regel.«
Wir nehmen das Essen mit ins Wohnzimmer, sie trägt die Teller, ich den Wein.
Wir stellen es vor uns auf den Sofatisch.
»Ich will nur rasch was holen.«
Sie kommt mit einer Videokassette wieder.
»Dario Argento«, sagt Camilla und legt sie ein.
»Ein Mädchen aus meiner Band besteht darauf, dass man alle Filme von Argento gesehen haben muss. Jeden einzelnen.«
Wir essen, trinken den Wein leer und schauen uns Rosso – Farbe des Todes an.
Auf dem Bildschirm werden schreiende Frauen mit Äxten abgeschlachtet. Camilla sitzt dicht neben mir. Ohne dicken Wintermantel. Ohne Betrunkene in unserem Rücken.
Als von den Sandwiches nur noch Kruste übrig ist, rauchen wir einen Joint.
»Ist es nicht furchtbar warm hier drinnen?«, fragt Camilla, als der Abspann läuft. »Vielleicht sollten wir alles ausziehen?«
D ie Decke ist ans Fußende gestrampelt, wir sind beide nackt. Ich hebe den Vorhang an, das Fenster ist angelaufen. Camillas Zimmer ist dunkelrot, draußen geht die Sonne auf. Auf der Kommode steht eine Uhr in Form eines Totenschädels. Es ist früh am Morgen, aber ich bin spät dran.
Ich gehe ins Bad, spritze mir Wasser ins Gesicht und putze die Zähne mit dem Zeigefinger.
Ich kann nicht mehr als ein paar Stunden geschlafen haben, vielleicht nur eine.
Unterhose und Strümpfe liegen in Camillas Zimmer auf dem Boden, zwischen ihren Klamotten. Camilla stützt sich auf den Ellbogen und schaut zu, wie ich mich anziehe.
»Ich muss für ein paar Tage weg«, sage ich und nehme den Joint, der auf der Fensterbank liegt. Gestern kamen wir nicht mehr dazu, ihn zu rauchen. Ich halte ihn hoch, sie nickt, ich darf ihn mitnehmen.
Ich küsse sie. Auf der Treppe finde ich mein T-Shirt, im Wohnzimmer liegen die Hose und der Kapuzensweater. Mein Rucksack steht auf dem Flur, wo ich ihn gestern abgestellt habe.
Die kalte Morgenluft lässt mich zittern. Der Gehweg ist nass und glatt. Ich gehe so schnell ich kann und erreiche Karins und Michaels Haus.
Dort ziehe ich Papier und Kugelschreiber aus dem Rucksack und benutze einen weißen Citroën als Schreibunterlage. Der Kühler ist nass vom Morgentau, sodass der Kuli das Papier zerreißt und den Lack zerkratzt. Ich fasse mich kurz, schreibe, dass ich in ein paar Tagen zurück sei und sie sich keine Sorgen machen sollen.
Mehr brauche ich nicht zu erklären. Karin weiß, wohin ich fahre. Sie hat mit meiner Großmutter geredet und mir nichts davon gesagt.
Ich stecke den Zettel in den Briefkasten und denke an meine Schwester, die dort oben schläft. Sie ist noch so klein, im Schlaf sabbert sie. Nicht viel, aber am Morgen sieht man eine kleine Schneckenspur auf ihrem Kissen.
Ich laufe durch das Viertel, passiere Christians Haus und später die Zoohandlung in der Hauptstraße.
Bald sitze ich in einer leeren S-Bahn und schnappe nach Luft.
Die Bahn verlässt die Station, ich lehne den Kopf an die kalte Scheibe, mein Atem kondensiert. Durch den Dunst zieht das Eigenheimviertel vorbei.
Im Hauptbahnhof steige ich aus, der Boden ist voller Kippen und festgetrampelter Kaugummis. Ich habe zwölf Minuten, um eine Fahrkarte zu kaufen und den richtigen Bahnsteig zu finden.
Junge Männer mit Sporttaschen und Bier strömen in den Zug. Nach ein paar Stationen steigt eine Familie mit Kindern ein, ob Oma Süßigkeiten für sie habe, fragt der kleine Junge, und seine Mutter nickt. Ich zeige dem Schaffner meine Fahrkarte und lasse mich wieder in den Sitz fallen.
Der Zug rollt auf die Fähre.
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