Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Winter geschlossenen Eisdielen. Ein Supermarkt und ein Imbiss, der aussieht wie der auf der Insel. Meine Großmutter parkt an der Hauptstraße.
»Du hast nur Stadtkleider«, sagt sie. Ich folge ihr in ein Geschäft für Herrenbekleidung.
Der Familienvater, der gerade ein Paar Jeans anprobiert, wird sich selbst überlassen, und der Verkäufer nimmt meine Maße und stapelt alles, worum meine Großmutter bittet, auf der Theke auf.
Die Stiefel und die dicke Winterjacke soll ich sofort anziehen.
»Er braucht auch einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd«, sagt meine Großmutter. Der Verkäufer tippt alles in die Kasse ein. Die Hose muss gekürzt werden, wird aber in ein paar Tagen fertig sein. Ich will gerade Geld aus der Tasche ziehen, da fragt der Verkäufer, ob er es anschreiben soll.
Meine Großmutter schluckt. »Ja«, antwortet sie. »Schreib es an.«
Wir steigen wieder ins Auto und fahren durch eine Gegend, die weder Stadt noch Land ist, vorbei an einer Tankstelle, einer Minigolfanlage und den Ruinen einer Kneipe, die vor ein paar Jahren niedergebrannt ist, wie ich erfahre.
Dann erreichen wir die Schnellstraße, meine Großmutter fährt in ihrem Tempo auf der mittleren Fahrspur. Die Tachonadel steigt nie über fünfzig, egal wie viele Autos sich hinter uns stauen. Nach zwanzig Minuten biegen wir ab und fahren auf ein graues, viereckiges Betongebäude zu. Das Licht im Inneren ist dämmrig, es gibt einen Kiosk und einen Friseur. Wir folgen den blauen Pfeilen auf dem Boden des Krankenhausflurs und steigen in den Aufzug.
Mein Großvater verschwindet fast unter der Decke. Er war einmal ein großer Mann, das sehe ich an den Beulen am Fußende. Meine Großmutter hängt ihren Mantel über einen Stuhl.
»Er wird bald aufwachen«, sagt sie. »Die Ärzte sind sich nicht einig, aber ich weiß, dass er aufwachen wird. Er will mit dir reden.« Sie schaut den Mann im Bett an.
»Dein Enkel ist hier, lass ihn nicht zu lange warten.«
Das Gesicht des Mannes lässt mich den Krankenhausgeruch vergessen, die hellblauen Wände und die Schläuche in seinem Körper. In dem Bett liegt mein Vater, als uralter Mann. Viel älter, als ich ihn kannte. Viel älter als damals plus die Anzahl der Jahre, die seitdem vergangen sind.
Ich schaue aus dem Fenster oder betrachte die Apparate, die meinen Großvater am Leben halten, aber ich vermeide, ihm ins Gesicht zu blicken. Meine Großmutter sitzt neben mir und sieht ihren Mann erwartungsvoll an.
Ein paar Stunden später nimmt sie den Mantel von der Stuhllehne.
Draußen auf dem Gang wartet eine Frau. »Ich heiße Merete«, sagt sie und streckt die Hand aus. Ich erfahre, dass sie meine Tante ist. Ihr Haar ist rötlich, die Haut schimmert von Feuchtigkeitscreme. Der Junge, der auf einer Bank an der Wand sitzt, ist mein Cousin. Als er meine Großmutter erblickt, nimmt er sofort die Kopfhörer aus den Ohren. Die Musik spielt weiter, ich höre den monotonen Bass. Er greift in die Tasche und schaltet den Walkman aus. Seine Schwester ist dünn, hat schwarze Haare, aber über der Kopfhaut kommt schon wieder ihre natürliche rote Haarfarbe durch. Sie schaut auf den Boden, als hätte sie gerade etwas verschüttet.
»Wollt ihr zu ihm?«, fragt meine Großmutter. Die Frau schüttelt den Kopf. »Wir haben in der Cafeteria auf euch gewartet.«
Wieder folgen wir den blauen Pfeilen, bis wir auf dem Parkplatz stehen.
»Kann Louise mit euch fahren?«, fragt die Frau, die meine Tante ist. »Ich halte es nicht aus, wenn sie während der ganzen Fahrt mit Frederik streitet.«
Meine Cousine sitzt vor mir im Auto, sie quetscht sich an die Tür, bereit zum Abspringen, falls es nötig sein sollte.
»Es ist lange her, seit ihr uns das letzte Mal besucht habt.« Meine Cousine antwortet nicht, im Rückspiegel sehe ich, dass sie nervös im Auto umherblickt. »Aber ihr habt sicher viel in der Schule zu tun.« Der blaue Kombi meiner Tante überholt uns.
Wir sitzen auf dem Deck der Fähre, meine Tante holt Kaffee aus dem Automaten.
»Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?«, fragt sie und gibt meiner Großmutter einen Becher. »Ich werde die praktischen Dinge übernehmen. Die ganzen Telefongespräche und so.«
Meine Großmutter hebt den Becher an den Mund und pustet.
»Wir müssen ja nicht bis zum letzten Augenblick warten.«
Meine Großmutter schielt über den Becher.
»Man begräbt keinen Menschen, solange sie noch leben«, sagt sie. Ihr Dialekt wird immer breiter, ich kann sie kaum noch
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