Wie Krähen im Nebel
blasse Frau eine Gefahr darstellte, nicht unter den Umständen ihres Treffens. Sonst möglicherweise schon.
Als Laura das Polizeipräsidium verließ, warf sie nur einen kurzen Blick in die Fußgängerzone, um sofort die andere Richtung einzuschlagen. Der Ausschnitt, den Laura sehen konnte, wirkte auf sie wie ein absurder Demonstrationszug. Tausende Menschen wälzten sich durch die breite Einkaufsstraße, offensichtlich auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken.
O Gott, ich hab auch noch keine, dachte Laura. Noch zwei Wochen bis Weihnachten.
Sie lief am Dom vorbei durch die schmalen Hintergassen und Passagen Richtung Marienplatz, versuchte im Geist eine virtuelle Geschenkeliste aufzustellen: Zehn Reitstunden für Sofia und ein neuer Reithelm, Ski für Luca (secondhand), fünf Flaschen Barolo für Vater und ein Gutschein, dass sie im Frühling eine Woche mit ihm in die Toskana fahren würde(hoffentlich konnte sie das einhalten!), eine Stange Zigaretten und ein Hemd für ihren Ex (weil sein Lieblingshemd am Kragen durchgescheuert war) – für alle anderen Bücher.
Und für Angelo? Sie blieb so jäh stehen, dass eine Frau gegen sie stieß.
«Pass’n S’ doch auf! San ned allein auf da Welt!»
«Das ist mir durchaus bewusst!», gab Laura zurück, während sie dachte, dass sie keine Ahnung hatte, was sie Angelo schenken könnte. Sie kannte ihn einfach nicht gut genug. Während sie langsam weiterging, fiel ihr Blick auf ein Plakat, das einen Diavortrag über die Sahara ankündigte. Und plötzlich wusste sie, was sie ihm schenken würde: einen Bildband über die Wüsten der Erde … Illustrationen zur inneren Leere, würde sie dazuschreiben. Vielleicht noch eine Tulpenzwiebel mit Pflanzanleitung zur Begrünung von Wüsten … er würde wissen, dass es eine Erinnerung an ihre langen Gespräche im September war, als sie sich noch vorsichtig mit Worten umkreisten.
Gut! Laura schob die Geschenkeliste zur Seite und konzentrierte sich auf ihre Umgebung. Vermutlich hatte die blasse Frau sie die ganze Zeit beobachtet – vielleicht gab es sogar ein paar unauffällige Helfer. Die andere Seite wollte schließlich sichergehen, dass Laura allein zu dem Treffpunkt erschien.
Ein paar Minuten blieb sie am Ausgang der Passage stehen und beobachtete das Menschengewühl auf dem Marienplatz. Der Weihnachtsmarkt brodelte und glitzerte, der Duft von gebrannten Mandeln, Lebkuchen und Glühwein hing wie eine unsichtbare Wolke über den Buden. Es schneite ein bisschen – einzelne große Flocken schwebten vom Himmel, blieben auf Mänteln, Gesichtern, Haaren liegen. Unter den Arkaden spielten Straßenmusikanten eine Melodie, die südamerikanisch klang. Aus einer anderen Richtung tönten Weihnachtslieder.
Laura reihte sich in den Strom der Dahinschlendernden ein, ließ sich durch die Buden schieben, bis sie den Fuß der Mariensäule erreichte. Die goldene Madonnenfigur an ihrer Spitze verschwand fast ganz in den immer dichter fallenden Riesenflocken.
Noch während Laura zur Madonna hinaufschaute, spürte sie, dass jemand dicht hinter ihr stand, wandte leicht den Kopf und sagte: «Hallo!»
«Hallo!» Die große blasse Frau trat neben sie und sah ebenfalls zur Maria hinauf. «Wohin gehen wir?»
«In eines der kleinen Hinterhof-Cafés!», erwiderte Laura. «Hier ist es überall zu voll.»
«Gern! Welche Richtung?»
«Ich geh voraus!»
Sie bahnten sich den Weg, schoben fröhliche Glühweintrinker mit roten Nikolausmützen auf den Köpfen zur Seite, alte Damen mit Topfhüten, Kinder mit riesigen Wolken aus Zuckerwatte vor den Gesichtern. Es war ein italienisches Café, in dem sie schließlich landeten – lag in einem Innenhof am Ende verwinkelter Passagen und Durchgänge, für Ortsunkundige nicht leicht zu finden und deshalb ziemlich leer. Schweigend waren sie nebeneinander gegangen und schwiegen weiter, bis der junge Kellner große Tassen schäumenden Kaffees vor sie hingestellt hatte und einen Teller mit gemischten Vorspeisen.
Das blonde Haar der Frau erschien Laura diesmal nicht mehr so stumpf, und sie war auch nicht ganz so blass wie bei ihrer ersten Begegnung. Allerdings strich sie genau wie damals immer wieder über das Fell ihres Mantels, zauste hin und wieder darin herum, als handle es sich um eine lebendiges Tier.
«Wie haben Sie meine Handynummer rausgefunden?», fragte Laura.
«Keine Umwege, was? Auch nicht schlecht. Wenn ich Sie Laura nennen darf, können Sie Natali zu mir sagen. Das macht die Kommunikation irgendwie
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