Wie Liebe Heilt
Kultur oder Gesellschaft vorgegeben hat. Sie haben sich über äußere Attribute kategorisiert und definiert – wie viel Geld man hat, auf welche Schule man geht, welchen Beruf man ausübt, welche sexuellen Vorlieben man hat, welche Figur man hat, ob man verheiratet ist etc. Doch all dies sind Dinge, die sich ändern können. Verliert man dann etwas, von dem man glaubt, dass es den eigenen Wert bestimmt, fühlt man sich verloren, und es macht einem Angst. Man stellt fest, dass man im Grunde gar nicht weiß, wer man ist. Daraus entspringt dann das Gefühl, nicht zu genügen, nicht »gut genug« zu sein, und als Folge wird die Angstreaktion ausgelöst.
Umgekehrt haben wir das Gefühl, unser Leben unter Kontrolle zu haben, je mehr wir darauf vertrauen zu wissen, wer wir sind.
Fühlen wir uns unterstützt und geliebt für das, was wir sind, dann sind wir auch in der Lage, den Herausforderungen des Lebens zu begegnen, und erleben seltener Angstreaktionen.
Als kleines Kind sprühten Sie wahrscheinlich vor Energie. Sie hatten Ihren Spaß daran, laut zu schreien, herumzurennen, alles zu untersuchen und zu erkunden – die Kleiderschränke, die Küchenschränke, den Müll, die Toilette. Und wahrscheinlich hat Sie jemand die ganze Zeit »überwacht« und ständig ermahnt und getadelt für Ihre Handlungen, manchmal unnötig und vielleicht auch sehr scharf. Erwachsene sind manchmal so gestresst und frustriert, dass sie ihre Kinder anmeckern, anschreien oder sogar schlagen, um sie unter Kontrolle zu bekommen. Dadurch lernen Kinder, dass es nicht erlaubt ist, die Umwelt zu erforschen oder seine Gefühle auszudrücken. Auf diese Weise lernten auch Sie, dass die Welt kein Ort ist, an dem man sich geborgen und sicher fühlen kann. Als Sie dann älter wurden, wurde Ihnen von der Gesellschaft, der Schule, den Medien und unserer Kultur beigebracht, wie man sich »angemessen« verhält, wie man auszusehen und zu sein hat, und dies verstärkte das von früher Gelernte.
Manche Kinder wachsen in einer Familie auf, in der Vernachlässigung und Misshandlung an der Tagesordnung sind. So machen sie die Erfahrung, dass sie nichts wert sind, dass sie weder auf Liebe noch auf Unterstützung zählen können und an keinem Ort sicher sind. Die Erinnerung an die Misshandlung und die Vernachlässigung prägt sich ihrem Körper und ihrer Seele so tief ein, dass jede Belastung diese Erinnerung lebendig werden lässt, besonders wenn das Selbstverständnis des Betreffenden in Frage gestellt wird.
Andere wiederum haben durch Familie und Freunde erfahren dürfen, dass sie geliebt werden und so, wie sie sind, in Ordnung sind. Sie wurden unterstützt, unabhängig davon, ob sie besondere Leistungen zeigten oder nicht. Sie haben gelernt, dass sie ihr inneres Gleichgewicht aufrechterhalten können, auch in Situationen, die ihre äußere Identität in Frage stellen.
Jane: Im Stich gelassen
Jane war fünfunddreißig Jahre alt, als sie wegen ihrer jährlichen Routineuntersuchung zu mir kam. Sie hatte Angstzustände, ein Reizdarm-Syndrom und versuchte seit drei Jahren vergeblich, schwanger zu werden. Vor vier Jahren hatte man bei ihr eine Schilddrüsenüberfunktion diagnostiziert. Damals war sie mit Panikattacken, Herzklopfen, Kurzatmigkeit und Brustschmerzen in die Notaufnahme eingeliefert worden, nachdem sie vom plötzlichen Herztod ihres Vaters erfahren hatte. Sie bekam Medikamente für die Schilddrüse, die Angstzustände hielten aber an. In ihrem Job als leitende Angestellte arbeitete Jane sechzig bis achtzig Stunden in der Woche, absolvierte ein strenges Fitnessprogramm und bezeichnete sich selbst als Perfektionistin sowohl am Arbeitsplatz als auch im Haushalt und in Bezug auf ihre körperliche Fitness.
Weder die körperliche Untersuchung noch die Laborergebnisse der Blutuntersuchung ergaben irgendwelche Krankheitshinweise. Also fragte ich Jane nach ihrer Kindheit: Als sie vier Jahre alt war – damals lebte sie in Hongkong –, reiste ihre Mutter in die Vereinigten Staaten, um dort eine Existenz für die Familie aufzubauen. Jane blieb bei ihrem Vater, einem sehr beschäftigten und erfolgreichen Geschäftsmann, der so gut wie nie zu Hause war. Die Trennung von ihrer Mutter dauerte eineinhalb Jahre. Jane konnte sich gut daran erinnern, wie verlassen sie sich damals gefühlt hatte und wie wunderbar es war, als sie wieder mit ihrer Mutter zusammen sein konnte, aber auch wie wütend sie über die Abwesenheit ihrer Mutter gewesen war.
Ich fragte Jane, ob
Weitere Kostenlose Bücher