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Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Titel: Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Chatfield
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den Umständen anzupassen. Umgekehrt müssen wir aber auch die Umstände uns anpassen, und zwar der vollen Bandbreite unserer Beobachtungen, unserem ganzen Denken und Fühlen. Dies umfasst die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit zu teilen; aber auch, uns einem einzigen Gedanken oder einander hinzugeben, unter Ausschluss aller anderen. Daneben müssen Zeit und Raum für andere Freiheiten bleiben – und für Arbeitsweisen, deren einzig notwendige Begründung darin besteht, dass wir gut mit ihnen zurechtkommen.

    2 The Shallows , Nicholas Carr (W.W. Norton & Co / Atlantic 2011).

4 Die Neuausrichtung der Technologie

1.
    Im Sommer des Jahres 2010 besuchte ich zum ersten Mal die Zentrale eines Unternehmens, das schon seit Jahren fester Bestandteil meines Lebens war: Google. Obgleich ich bereits den Londoner Firmensitz besichtigt hatte, war Google in meiner Vorstellung nie etwas gewesen, das einen physischen Raum einnahm wie eine Bank oder ein Ladengeschäft. Der Googleplex – 1600 Amphitheatre Parkway, Mountain View, California – änderte das. Wenn ich heute auf die Google-Suchzeile in der rechten oberen Ecke meines Internet-Browsers blicke, sehe ich einen Ort und Gesichter vor mir, die eine Geschichte zu erzählen haben. Der Sitz von Google ist ein richtiger Campus, dessen Besuch eine »ganzheitliche« Erfahrung ist: Wer dort arbeitet, kann einen Fitnessraum benutzen und sich in sonnigen Innenhöfen oder beim Beach-Volleyball erholen. Es gibt technische Spielereien, Wäschereien und täglich drei Mahlzeiten vor Ort. Wie mir ein Mitarbeiter erklärte, werden die Angestellten dort »wie Erwachsene« behandelt – man vertraut ihnen, dass sie hart und gewissenhaft arbeiten, ihre Projekte nach ihrer eigenen Zeiteinteilung verfolgen. In gewisser Weise behandelt man sie aber auch wie Schulkinder oder zumindest wie die Mitglieder einer freundlichen, väterlichen Institution, die man vor allen weltlichen Sorgen bewahrt, damit sie besser lernen und arbeiten können.
    In dem endlosen, hellen Landstrich der äußeren San Francisco Bay, zwischen fernen Bergen und schnurgeraden Freeways erstrahlte all das in einem regelrecht platonischen Sinne. Zum Ende meiner Zeit in Kalifornien fand ich, dass Google und sein großer kalifornischer Kollege Apple dem Stadtstaat der Renaissance mehr als nur ein bisschen ähnelten. Beides sind Orte außergewöhnlicher kultureller Fruchtbarkeit mit einer eigenen Ästhetik und Geisteshaltung – auf der einen Seite der kompromisslos minimalistische Modernismus von Apple, der den Wünschen und Bedürfnissen der Benutzer mit einem beinahe pathologischen Streben nach Eleganz zuvorkommt, auf der anderen der knallbunte Postmodernismus von Google, dessen Software-Tools unablässig angepasst werden, damit alles, was irgendjemand irgendwann vielleicht wissen möchte, auffindbar wird.
    Hinter alledem steckt nicht zuletzt eine brutale wirtschaftliche Logik, die – bei Google – darauf ausgerichtet ist, immer größere Datenmengen zu katalogisieren und zu vernetzen, um die Verknüpfung von Werbung mit bestimmten Suchbegriffen noch profitabler zu machen. Vieles davon war mir dem Wortlaut nach bekannt, bevor ich die »physische« Firmenzentrale besuchte. Nachdem ich eine Zeit lang dort verbracht und die Unternehmenskultur kennengelernt hatte, begriff ich langsam, was mir alles entgangen war.
    Wie für viele andere Menschen auch war Google für mich in erster Linie eine Suchmaschine und ein dazugehöriges Verb gewesen. Es ist ein Unternehmen, dessen Ethos auf Bequemlichkeit, Effizienz und Nahtlosigkeit gerichtet ist, und ich hatte Google dieser Bestimmung nach genutzt: mühelos, dankbar und im Großen und Ganzen unkritisch. Hier jedoch war ein Ort mit einer Geschichte, einer Überzeugung. Hinter der wundervollen algorithmischen Mechanik des Produkts standen intelligente, voreingenommene, unvollkommene Menschen – genauso wie hinter jedem anderen Programm, Produkt oder namenlosen Interface auch.
    Es gab Diskussionen und unterschiedliche Meinungen darüber, was die Firma als Nächstes tun solle; bekannte Themen und kaum bekannte Triumphe; eine verwirrende Frustration in der Lobby jenes journalistischen Denkens, das darauf abhebt, »dass uns Google dumm macht«.

    Silicon Valley bei Sonnenuntergang: Selbst weltumspannende digitale Angebote entstehen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort.
(Silicon Valley © Ian Philip Miller / Getty Images;)
    Alle hergestellten Objekte entfremden uns von den Umständen

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