Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
ihrer Produktion. Wenn man mit etwas so Komplexem und Kompaktem wie einem Mobiltelefon hantiert, fällt es schwer, die Zuliefererketten und Herstellungsprozesse im Sinn zu behalten, aus denen es entstanden ist: die Gewinnung von Metallen für Schaltkreise und Batterien, die Verwandlung von Öl zu strapazierfähigem Plastik, die Fabrikarbeit und die Softwareentwicklung, das Design, die Prototypen und die Patente.
Bei einem Bildschirmprodukt wie der Google-Suchmaschine ist die Entfremdung noch stärker. Inmitten der anonymen Pixel weltweit identischer Bildschirme nutze ich den Service eher wie etwas Gefundenes denn als Produkt. Google ist überall und nirgendwo, Teil einer organischen »Landschaft« oder eines »Ökosystems«, um zwei der am weitesten verbreiteten Begriffe des New-Media-Vokabulars zu verwenden. Dienste wie Google oder Amazon wirken nicht, als wären sie von Menschen geschaffen, wenigstens nicht in dem Sinne wie das Handy in meiner Tasche, ganz zu schweigen von den Schuhen an meinen Füßen. Damit vermindert sich meine Fähigkeit, sie nach denselben Kriterien zu beurteilen, zu interpretieren und zu »sehen« wie die Welt von Objekten, die mich umgibt. Ich nutze sie gewohnheitsmäßig und mehr oder weniger unkritisch.
Das soll keine Kritik an Google sein. Vielmehr ist es eine Kritik an einer Haltung, digitale Dienste und Geräte zu nutzen, als wären sie gottgegeben oder unvermeidlich: Dinge, die außerhalb der Geschichte und menschlichen Irrtums in einer »Medienlandschaft« existieren, durch die wir uns so gut wie möglich navigieren müssen. Google und Amazon sind jedoch ebenso von Menschenhand geschaffen wie ein Paar Jeans oder eine Duracell-Batterie. Hinter ihrer scheinbar schwer greifbaren Existenz stehen historische und menschliche Kontexte, die es endlich zu diskutieren gilt.
2.
Im März 2010 berichtete ich für die Zeitung Observer über die Anstrengungen des britischen Senders Chan nel 4, ein Online-Spiel zu schaffen, das Jugendliche an einen sicheren und effizienten Gebrauch sozialer Netzwerke wie Facebook heranführen sollte. Im Rahmen seiner Recherchen sprachen die von Channel 4 beauftragten Entwickler – eine in London ansässige Firma namens Six to Start – mit Gruppen von Schülern im Süden Englands.
Im Verlauf dieser Gespräche wurde rasch klar, dass die Technologie im sozialen Leben, in Arbeit und Freizeit der meisten Teenager zwar eine zentrale Rolle spielte, ihre Kenntnisse jedoch weit geringer waren, als die Erwachsenen gemeinhin angenommen hatten. In den unvergesslichen Worten von Donald Rumsfeld lauerte hinter jeder Mediennutzung eine unbestimmte Anzahl »unbekannter Unbekannter« – eine ganze Reihe von Dingen, von denen sie noch nicht einmal wussten, dass sie nichts davon wussten.
Der Schutz ihrer Privatsphäre war für die meisten Teenager von übergeordneter Bedeutung. »Beinahe alle Jugendlichen, mit denen wir gesprochen haben, glauben, dass sie über Datenschutz, Identität und Sicherheit im Netz bestens Bescheid wissen«, sagte mir Adrian Hon, der oberste Creative Officer von Six to Start. »Die Tatsache, dass von den meisten Erwachsenen nichts als Panikmache vor Pädophilen kommt, führt dazu, dass sie sich nicht mehr dafür interessieren, was die Erwachsenen zu sagen haben.« Die wahren Ängste und wunden Punkte der Teenager beträfen nicht etwa die direkten sexuellen Annäherungen von Fremden, sondern lägen vielmehr im Bereich der Privatsphäre, verbreiteter Fotos, Mobilfunknummern und Geburtsdaten.
Die meisten Kinder, so Hon, fürchteten »Schikanen im Netz, in einem weiteren Sinne also um ihre Stellung innerhalb der sozialen Rangordnung. Ich stellte außerdem fest, dass viele ein schwer zu artikulierendes, unangenehmes Gefühl dahingehend hatten, was man im Netz über sie herausfinden könnte. Die Datenschutzrichtlinien von Facebook scheinen sich alle paar Monate zu ändern, und selbst wir hatten große Mühe damit, überhaupt zu verstehen, was sie alles bedeuteten …«
Das ist die menschliche Kehrseite der Mutmaßung, dass eine jüngere Generation fröhlich und unkritisch einen großen Teil ihres Lebens in die digitale Welt verlagert. Langsam wird manchen Eltern bewusst, dass die Rolle der Technik im Leben ihrer Teenager eigene Ängste, Unsicherheiten und bohrende Fragen mit sich bringt. Die Tatsache, dass diese nur sehr selten öffentlich angesprochen werden, hilft den Beteiligten kaum weiter.
Das von Hons Team entwickelte Spiel Smokescreen gewann beim
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