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Wie man sie zum Schweigen bringt

Wie man sie zum Schweigen bringt

Titel: Wie man sie zum Schweigen bringt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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wenn ich meine Eltern in Arpikylä besuchte. Jetzt wollte ich nicht die nächsten fünfzehn Jahre damit verbringen, Mikke nachzutrauern. Das wäre sinnlos gewesen, schließlich war ich eine vernünftige, erwachsene Frau und keine zwanzigjährige Polizeianwärterin, die sich in den ersten charmanten Schurken verknallt, der ihr über den Weg läuft. In Mikkes Fall hatte ich profimäßig gehandelt und getan, was ich tun musste.
    Außerdem liebte ich Antti und war glücklich mit ihm. Natürlich war der erste Rausch abgeklungen, schließlich waren wir im nächsten August sieben Jahre zusammen. Aber vom verflixten siebten Jahr war nichts zu spüren, es lief gut zwischen uns. Trotzdem gab es Erinnerungen, die so höllisch wehtaten, dass ich beim Whisky Trost suchte.
    Anfang des Jahres hatte ich einen Vortrag über die Gewaltverbrechen halten müssen, die die Espooer Polizei in meiner Zeit als Dezernatsleiterin aufgeklärt hatte. Dabei hatte ich mit kühler Professionalität über den Mord an Juha Merivaara gesprochen und die Publikumsfragen so gleichmütig beantwortet, als ginge es um das Wetter. Aber das war nur Fassade gewesen. Koivu hatte mich durchschaut, er war mit mir auf den Hof vor dem Kongressgebäude gegangen und hatte mich zusammengestaucht.
    »Sei nicht blöd! Du hast Mikke Sjöberg ins Gefängnis gebracht, Punktum! Da gibt's nichts zu flennen .  «
    Da Koivu in dieser Sache brutal realistisch war, sprach ich fast immer mit ihm, wenn der Mikke-Jammer mich packte. Er schubste mich zurück in die Wirklichkeit. Die blauen Flecke, die ich mir dabei holte, hatte ich verdient.
    Ich trat mir in Gedanken ans Schienbein und ging auf den Spielplatz der Kindertagesstätte. Ein Eichhörnchen wuselte an einem gewaltigen Fichtenstamm hoch, eine Schar Kinder strömte zur Tür heraus.
    »Atte, komm her, wir spielen Räuber und Gendarm. Ich fang dich! «, rief ein etwa fünfjähriger Junge mit riesigen Augen einem etwas älteren Blondschopf zu.
    »Wem seine Mami bist du? «, fragte ein hübsch angezogenes kleines Mädchen.
    »Iidas .  «
    »Ist sie auch hier bei uns? «
    Ich hatte gerade verneint, als der Kleine mit den großen Augen in mich rannte und instinktiv die Arme um mich legte, um den Aufprall zu mildern.
    »Hoppla! Da hast du wohl den falschen Räuber gefangen«, lächelte ich, und er lächelte zurück, bevor er wieder losrannte. Die kleinen Jungen machten einen unglaublichen Krach. Wäre Iida auch so laut, wenn sie zu Hause einen Spielkameraden hätte?
    Ich beobachtete das Treiben der Kinder etwa fünf Minuten lang. In dieser Zeit hatte der Junge mit den Telleraugen seinen Freund schon zweimal gefangen, wobei ein Sprungseil die Handschellen ersetzte. Dann trat Tommi Laitinen aus der Tür, und vierzig Kinder riefen fröhlich tschüs, als wir das Gelände verließen.
    »Soll ich dich nach Hause bringen, oder kommst du lieber mit aufs Präsidium? «, fragte ich. Tommi sah immer noch müde aus.
    »Nach Hause. Das heißt, eigentlich ist es bloß noch eine Wohnung, kein Zuhause .  «
    Er ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Das Sonnenlicht fiel gnadenlos auf die Falten unter seinen Augen und auf die eingefallenen Wangen.
    »Wie hältst du den Arbeitstag durch? «
    »Es tut mir gut, wenigstens noch irgendwo gebraucht zu werden. Wir dürfen keine Vertretung einstellen, und wenn einer fehlt, leiden sowohl die Kollegen als auch die Kinder darunter. Die Belegungsrate in unserer Kindertagesstätte liegt weit über der gesetzlichen Obergrenze .  «
    »Aber du fühlst dich trotzdem wohl? «
    »Ich arbeite gern mit Kindern. Mir ist schon klar, warum du fragst, natürlich habt ihr den Vorfall in der Kita ›Lämmchen‹ ausgegraben .  «
    »Warum bist du damals nicht vors Arbeitsgericht gegangen? «
    »Man hat mich nicht entlassen, sondern mir dringend nahe gelegt, selbst zu kündigen. Das ›Lämmchen‹ ist eine private christliche Einrichtung, und für einige Eltern war es einfach unerträglich, dass ich schwul bin. Ich hatte nicht die Kraft, mich zu wehren. Als Jugendlicher habe ich genug darunter gelitten, von der Kirche verurteilt zu werden, obwohl ich mich bemühte, ein guter Christ zu sein. Außerdem hatte ich das Glück, schnell eine neue Stelle zu finden .  «
    Wir bogen in die Kaskitie ein, an deren Ende zweistöckige Fertighäuser entstanden. Den Bürgersteig zierte blaues Luftschlangenspray, offenbar hatten die Kinder schon angefangen, in den Mai zu feiern.
    In der Wohnung roch es nach Abwesenheit. Die

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