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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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aufgerichtet und unerschütterlich da, aber ihre Stimme zitterte. »Lasst uns beten, dass sie ihren Weg finden möge.«
    Die Schwestern beugten die Köpfe, und Bernie betete den Rosenkranz vor, hörte die Perlen klicken. Sie hielt den Rosenkranz mit den Glasperlen in den Händen, den ihre Großmutter ihr zur Erstkommunion geschenkt hatte. Sie dachte an die Bindung, die zwischen ihnen und zwischen all den anderen starken Frauen in ihrer Familie bestand. Regis war eine Frau ganz nach dem Herzen ihrer Großmutter: mutig, liebevoll und abenteuerlustig.
    Nach dem Gesegnet-seist-du-Maria, Vaterunser und Ehre-sei-Gott beendete sie die Andacht mit dem
Memorare.
Dieses Gebet, das auf den heiligen Bernhard von Clairvaux zurückging und aus Irland eingeführt worden war, war das Lieblingsgebet von Toms Großmutter gewesen. Bernie erinnerte sich daran, was sie empfunden hatte, als sie es zum ersten Mal hörte. Es war ihr wie eine Beschwörungsformel erschienen, die den Schutz der Muttergottes anrief. Es hatte in ihren dunkelsten Stunden, in den Monaten, nachdem sie mit Tom aus Dublin zurückgekehrt war, den Ausschlag zu ihrer Entscheidung gegeben, ins Kloster einzutreten.
    Gedenke, o gütigste Jungfrau Maria, es ist noch nie gehört worden, dass jemand, der zu dir seine Zuflucht nahm, deine Hilfe anrief und um deine Fürbitte flehte, jemals sei verlassen worden. Von diesem Vertrauen beseelt, eile ich zu dir, o Jungfrau der Jungfrauen, o Mutter, zu dir komme ich, vor dir stehe ich seufzend als Sünder. Verschmähe nicht meine Worte, du Mutter des Wortes, sondern höre sie gnädig an und erhöre mich. Amen.
    Bernie blickte über die gebeugten Köpfe der Schwestern. Sie liebte die Mitglieder ihrer Ordensgemeinschaft, genauso sehr, wie sie Regis liebte, für die sie beteten.
    Bernies Herz war schwer, während sie darum betete, dass ihre Nichte nichts Unbedachtes tun möge, nichts, womit sie sich selbst schadete.
    Agnes und Cece suchten die ganze Umgebung nach Regis ab, warfen einen Blick in all ihre geheimen Verstecke. Natürlich gehörten dazu auch die unterirdischen Gänge und die dicht bewaldeten, unter Naturschutz stehenden
Pine Barrens;
der Klostergarten hinter dem Konvent, angelegt in den zwanziger Jahren, anlässlich der Hochzeit von Francis X. Kellys Tochter; die Blaue Grotte, die nun als Schauplatz eines Verbrechens mit einer ernüchternden Wirklichkeit behaftet war, die kreideweißen Worte mit ihrer düsteren Bedeutung in Granit gemeißelt; die Marsch und die Uferböschungen am Fluss und das Gelände entlang der gewundenen Steinmauer.
    Agnes fragte sich, ob Steine wirklich magische oder spirituelle Kräfte besaßen – wie die Dolmen oder stehenden Steine, die ihre Familie unweit Ballincastle besichtigt hatte. Vermutlich schon, dachte sie, als sie die Energie spürte, die von der Mauer auszugehen schien. Jeder einzelne Stein, jeder Felsbrocken war von ihren Vorfahren hierher geschafft und in das Mauerwerk eingepasst worden.
    »Regis!«, rief Cece. »Wo steckst du! Wir suchen nach dir!«
    »Sie wird nicht rauskommen«, sagte Agnes intuitiv.
    »Was soll das heißen?«
    »Sie will nicht, dass wir sie finden.«
    »Aber warum? Sie muss doch wissen, dass wir uns Sorgen machen.«
    »Daran denkt sie nicht. Sie hat noch etwas Wichtiges zu erledigen …«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich kenne Regis«, sagte Agnes.
    Und so war es. Als die beiden älteren der drei Schwestern waren Regis und sie bis zu Ceces Geburt fünf Jahre lang zu zweit gewesen, eine Zeit, in der eine enge, unverbrüchliche Bindung entstanden war. Sie erinnerte sich daran, wie Regis lächelnd in ihr Bettchen geschaut hatte, als Agnes noch ein Baby gewesen war, oder wie sie ihr die Flasche gegeben hatte.
    Sie dachte daran, wie Regis nachts im Schlaf geweint und unverständliche Worte vor sich hingemurmelt hatte; nun war sie sich ziemlich sicher, dass es die gleichen waren, die sie an besagtem Abend auf Hubbard’s Point geschrien hatte. Rühr meinen Vater nicht an. Warum war ihr das nicht früher aufgefallen? Wozu waren Schwestern gut, wenn sie einander nicht helfen konnten, ihre Träume zu entschlüsseln?
    »Sisela!«, rief Cece.
    Jetzt sah Agnes sie, die alte weiße Katze – älter als Agnes und Cece – lag zusammengerollt auf der Mauer und blickte sie mit ihren smaragdgrünen Augen an.
    »Vielleicht kann sie uns zu Regis führen«, meinte Cece.
    »Glaube ich nicht. So etwas passiert nur im Kino«, sagte Agnes.
    »Schau doch«, sagte Cece, als sich die

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