Wie Sand in meinen Händen
für sie, hätte er nicht zu sagen vermocht. »Du hast dafür gesorgt, dass ich entlassen wurde, mir den Rückflug ermöglicht und das Cottage für mich hergerichtet.«
»Und, wie fühlst du dich?«
John nickte. Seine Kehle war wie zugeschnürt, er brachte keinen Ton heraus. Er streichelte die Katze ein letztes Mal, bevor er sie behutsam in das hohe Gras auf der Strandböschung setzte. Sie drehte sich einmal im Kreis, dann stelzte sie davon.
»Du bist wirklich unverbesserlich«, meinte Tom. »Kaum bist du wieder hier, machst du dich auch schon an die Arbeit.« Er deutete auf das Brecheisen und den Vorschlaghammer, die an der Hauswand lehnten. Dann blickte er auf die Bucht hinaus, auf die Stelle, wo der Findling gelegen hatte. »Wo ist er geblieben?«
»Ich möchte dir die Einzelheiten ersparen. Sagen wir, er ist verschwunden.«
»Honor hat mich angerufen.«
»Tatsächlich?«
»Sie hat sich Sorgen um dich gemacht. Mal überlegen, was sie gesagt hat. ›John rastet aus.‹ Ich glaube, sie sagte sogar, ›John rastet völlig aus‹.«
»Nun, ich …«
Tom schüttelte nur lächelnd den Kopf und sprang von der Böschung hinab.
Die alten Freunde umarmten einander, und John spürte mit einem Mal, wie sich seine Laune besserte. Die Sonne blendete ihn; er blinzelte und musterte Tom, der das Gleiche tat. John hatte das Gefühl, als wollte er genau wie Honor und Bernie ergründen, auf welche Weise ihn das Gefängnis verändert hatte.
»Du siehst gut aus«, meinte Tom schließlich.
»Lügner.«
»Im Ernst. Du siehst tausend Mal besser aus als bei unserer letzten Begegnung.«
»Meinst du, im Besucherraum des Gefängnisses, umgeben von den anderen Insassen?«
»Ja.«
»Nun, die Freiheit wirkt Wunder. Wenigstens seid ihr beide, Sisela und du, bei meinem Anblick nicht zurückgezuckt.«
»Im Gegensatz zu Honor?«
John nickte. »Sobald sie mich bei Tageslicht sah. Unsere erste Begegnung fand genau an dieser Stelle statt – unmittelbar nach Agnes’ Unfall. Und gestern kam sie nur, um mir eine Strafpredigt zu halten.«
»Eine wohlverdiente.«
»Willst du mich jetzt auch noch niedermachen?«, fragte John gereizt.
»Komm, reg dich ab«, sagte Tom beschwichtigend.
»Schon gut«, lenkte John ein.
»Bernie hat mir erzählt, dass Agnes’ Gesundheitszustand große Fortschritte macht«, sagte Tom. »Bleibt die Frage, was ist mit dir? Bist du wieder auf dem Damm?«
»Auf dem Damm?«
»Nach dem Gefängnisaufenthalt.«
»Du meinst, ob ich wieder ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft bin?« John lachte bitter.
»Ich meine, was hat der Freiheitsentzug bei dir bewirkt? Liegst du nachts wach und nimmst dir vor, dafür irgendjemandem den Kopf abzureißen? Leidest du unter Alpträumen, weil du eingesperrt warst, ein durch und durch rechtschaffener Kerl, der nur das Pech hatte, an den Falschen geraten zu sein? Solche Dinge habe ich gemeint.«
»Vielen Dank der Nachfrage, aber es geht mir gut. Ich bemühe mich, das alles zu vergessen.«
Toms Augen verengten sich. »Aha. Deshalb hast du sicher auch diesen großen, gottverdammten Felsen vernichtet, der seit der letzten Eiszeit hier stand.«
»Das war kein Kunststück; das Ding hatte einen langen Riss, von oben bis unten, genau in der Mitte. Ich habe mir nur die Schwachstellen zunutze gemacht.«
»Wenn du meinst. Trotzdem hast du die ganze Nacht gebraucht. Komm, lass uns ein paar Schritte gehen. Ich zeige dir die neueste Arbeit, die mir von Schwester Bernadette Ignatius aufgetragen wurde. Ich wüsste gerne, was du als Experte dazu sagst.«
John hob sein T-Shirt auf, schüttelte den Sand ab und zog es an, bemühte sich, sein Zittern zu verbergen. Tom mochte ahnen, was er durchgemacht hatte, aber niemand konnte es wirklich ermessen.
Johns Körper schmerzte – nicht nur vom stundenlangen Einschlagen auf den Felsen –, er litt Höllenqualen, weil er jahrelang den Menschen fern gewesen war, die er liebte. Zeitweilig hatte er geglaubt, vor Sehnsucht sterben zu müssen. Er hatte Honor schmerzlich vermisst, vor allem in der Nacht, getrennt von ihr durch einen Ozean, eingesperrt hinter Gittern. Doch zu wissen, dass sich die Mädchen und sie in seiner unmittelbaren Nähe, auf der anderen Seite des Hügels befanden, war vielleicht noch schlimmer.
Die beiden Männer erklommen die Böschung. Sie folgten der Mauer, die am Westende des Weingartens entlang bis zur Blauen Grotte führte. John erinnerte sich, dass er oft mit Honor hierhergekommen war, sie in der Dunkelheit
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