Wie Tau Auf Meiner Haut
seine eng liegenden, bösartigen Augen
unter dem fettigen Haar, als er nochmals mit dem Messer zustach.
Ohne nachzudenken wuchtete Grace den schweren Koffer ihm entgegen.
Überrascht zuckte er zurück, wobei die Tasche gegen seinen Arm knallte und
durch den Schwung das Messer herunterfiel. Es segelte durch die Luft und fiel auf
den Gehweg. »Mist auch«, knirschte er durch zusammengebissene Zähne, drehte
sich um und wollte wegrennen.
In diesem Augenblick wurde Grace von ihrer Wut überflutet. Er hatte sich noch
nicht richtig umgedreht, als sie ihm bereits hinterher war und ihm ein Bein
stellte. Schreiend fiel er auf den Gehweg und zog Grace mit sich auf den Boden.
Augenblicklich waren sie in einen Faustkampf verwickelt. Grace bearbeitete mit
ihren zu Fäusten geballten Händen seine Augen, seine Nase, seine Ohren und
auch sonst jedes in diesem Augenblick ungeschützte Körperteil, während er sie
abzuwehren versuchte. Sie erinnerte sich an den Tankwart und versuchte, ihm
ein Knie zwischen die Beine zu rammen, aber er rollte von ihr weg. Zornig
aufschreiend, griff Grace mit beiden Händen nach seinen fettigen Haaren und riss
daran, so heftig sie konnte. Er schrie vor Schmerz auf und versetzte ihr einen
Schlag in die Magengegend. Ihr Atem stockte, sie schien zu ersticken und war
einen Augenblick lang wie gelähmt, gab aber dennoch nicht auf. Wieder schlug er
zu. Eine ihrer Hände lockerte ihren Griff. Seine Faust schlug ihr ins Gesicht und
versetzte ihr einen Kinnhaken. Tränen sprangen ihr in die Augen, und er nutzte
ihre kurzfristige Schwäche, um sich von ihr loszumachen und auf die Beine zu
springen. Grace rappelte sich ebenfalls auf, aber er war bereits fast
verschwunden. Er rannte den Gehweg entlang und überholte die Fußgänger, die
ihm jedoch keinerlei Aufmerksamkeit schenkten.
Grace stöhnte und stand schwankend auf. Die Computertasche baumelte noch
immer um ihren Hals. Die Wut war ebenso verflogen, wie sie gekommen war.
Bleierne Müdigkeit überfiel sie. Eine kleine Gruppe von etwa zehn Schaulustigen
hatte sich versammelt. Ihre Gesichter schwammen wie Ballons vor ihren Augen.
Sie atmete mehrmals tief, tief durch.
Das Messer des Gangsters lag immer noch auf dem Gehweg. Der schwarze Griff
war mit Isolierband umklebt, und die Scheide war gute fünfzehn Zentimeter lang.
Es machte einen weit gefährlicheren Eindruck als ihr Küchenmesser. Sie wankte
darauf zu, wobei sie die blauen Flecke und Abschürfungen spürte, die sie in der
Hitze des Gefechtes davongetragen hatte. Mühsam beugte sie sich vor, hob es
auf und starrte erstaunt auf die blutige Klinge. Erst jetzt bemerkte sie das Blut,
das dunkelrot von ihrem Arm auf den Gehweg tropfte, und spürte die fünf
Zentimeter lange Schnittwunde an ihrem Unterarm.
Die Wunde musste genäht werden, stellte sie sachlich fest und untersuchte sie
nochmals eingehend. Pech gehabt. Sie würde nicht zwei- oder dreihundert Dollar
ihres wertvollen Bargeldes für eine Notarztbehandlung ausgeben, wo sie
außerdem noch von der Polizei befragt werden würde. Solange die Wunde sich
nicht infizierte, würde sie sie selbst versorgen. Sie zuckte mit den Schultern und
ließ das Messer in eine der Außenfächer ihrer Tasche gleiten.
Immerhin war der Angreifer wirklich nur ein ganz gewöhnlicher Dieb gewesen.
Vermutlich finanzierte er seinen Drogenkonsum mit dem Stehlen von Laptop-
Computern. Wenn er einer von Parrishs Männer gewesen wäre, dann hätte er
zuerst ihre Kehle durchgetrennt und wäre dann mit dem Computer getürmt.
Leider jedoch hatte sie Aufmerksamkeit erregt, auch wenn keiner der
Schaulustigen ihr behilflich gewesen war. Sie musste sich nun also schnellstens
aus dem Staub machen. Ihr Bus bog um die Ecke und bremste quietschend ab,
aber Grace stieg nicht ein. Der Busfahrer würde sich wahrscheinlich an den
Fahrgast mit dem blutenden Arm erinnern können, auch an die Haltestelle, an
der sie ausstieg. Das wiederum würde eventuelle Verfolger näher zu Harmonys
Haus führen. Grace überquerte eilig die Straße und ging in die entgegengesetzte
Richtung. Ihr Arm schmerzte, und das Blut tropfte auf die Computertasche.
Entnervt legte Grace ihre rechte Hand über die Wunde. Ihr Verhalten hatte jede
Geistesgegenwart vermissen lassen, dachte sie beim Gehen. Sie hatte sich stark
und gut vorbereitet gefühlt, weil sie ein Küchenmesser an ihrem Gürtel trug.
Aber ihre Erfahrungen auf der Straße waren einfach jämmerlich, sie
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