Wie Tau Auf Meiner Haut
beantragte sie keine Geburtsurkunde. Dank
Harmonys unschätzbar wertvollen Ratschlägen hatte sie bereits am Nachmittag
eine Sozialversicherungsnummer, eine Anschrift und einen Führerschein.
Anschrift und Führerschein allerdings waren Fälschungen. Die
Sozialversicherungsnummer dagegen war echt, sie hatte tatsächlich einmal
Louisa Patricia Croley gehört. Die Nummer war kinderleicht zu bekommen
gewesen, da sie lediglich eine Nummer, nicht aber die dazugehörige Karte
benötigte.
Bereits am darauf folgenden Tag war sie die Besitzerin eines beigefarbenen,
rostigen Pick-up-Lasters, dessen Gänge sich jedoch problemlos schalten ließen
und der weder verräterische Geräusche noch ebensolche Rauchsignale abgab. Da
sie in bar bezahlt hatte, hatte sie den Preis um vierhundert Dollar
herunterhandeln können. Mit dem Fahrzeugschein in der Hand hatte sie sich
dann eingereiht, um den Wagen auf ihren Namen zuzulassen - oder vielmehr auf
den Namen Louisa Croley.
Grace verspürte eine trotzige Zufriedenheit, als sie wieder zu ihrem Auto
zurückkehrte. Endlich hatte sie einen fahrbaren Untersatz und konnte sich
jederzeit aus dem Staub machen. Sie brauchte keinen Fahrschein mehr zu lösen,
sie brauchte sich auch nicht mehr für den Fall zu verkleiden, dass der
Fahrscheinverkäufer sich an ihr Gesicht erinnern würde, falls ihn jemand
diesbezüglich befragen sollte. Das Auto bedeutete Freiheit.
Im Stadtzentrum mietete sie sich ein preiswerteres Zimmer, und nach ein paar
Erkundigungen bewarb sie sich um eine Stelle bei einer Reinigungsfirma, die
einige der luxuriösen Wohnungen in Wayzata unter Vertrag hatten. Es gab keine
bessere Informationsmöglichkeit als die durch eine Reinigungsfirma, weil
niemand dem Reinigungspersonal irgendwelche Aufmerksamkeit schenkte. Ihr
war bekannt, dass Parrish, genau wie einige andere in seiner Gegend, eine
Haushälterin beschäftigte. Dennoch schlossen viele Anwohner dort mit einer
Reinigungsfirma einen Vertrag. Die Einkünfte der Firmen machten sich in aller
Regel jedoch nicht in den Taschen der Putzkräfte bemerkbar, weshalb das
Personal ständig wechselte. Grace wurde vom Fleck weg unter Vertrag
genommen.
An jenem Abend lag sie in ihrem trostlosen kleinen Zimmer auf ihrem klapprigen
Bett und dachte an die Dokumente, die sie eben gerade übersetzt hatte. Im
Jahre 1321 hatte ein Mann namens Morvan von Hay versucht, den Schwarzen
Niall umzubringen, hatte dabei allerdings seinen eigenen Kopf verloren. Sein
Vater, Clanoberhaupt des östlich gelegenen Landes, hatte daraufhin seinen
gesamten Clan dazu verpflichtet, gegen die Abtrünnigen von Creag Dhu in den
Krieg zu ziehen. In dieser Schlacht war Niall gefangen genommen und in Hays
Verlies verschleppt worden. Er hatte sich jedoch unter ungeklärten Umständen
noch in derselben Nacht befreien können.
Niall. Grace musste immer wieder an ihn denken. Wieder in Minneapolis zu sein
war schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte. Allerdings nicht wegen der
Gefahr, sondern weil sie in dieser Stadt mit Ford zusammengelebt hatte. In
dieser Stadt lagen ihr Ehemann und ihr Bruder begraben. Sie hätte zu gern ihre
Gräber besucht, traute sich aber nicht dorthin.
Es wäre nicht nur ein äußerst riskantes Unterfangen, es ging vermutlich auch
einfach über ihre Kräfte hinaus. Ihre Gräber zu sehen würde sie tief erschüttern
und die papierdünne Wand zerstören, die sie sich um ihre Gefühle herum
aufgebaut hatte. Wie lange lag das jetzt zurück? Zwei Monate? Es waren fast auf
die Stunde genau zwei Monate und drei Tage vergangen. Nicht lang genug. Noch
lange nicht lang genug. Sie dachte lieber an Niall. Wenn sie sich auf ihn
konzentrierte, konnte sie ihr seelisches Gleichgewicht bewahren.
Niall und sie liebten sich.
Grace ahnte zwar, dass sie träumte. Aber diese Ahnung war nicht stark genug,
als dass sie die Traumbilder hätte unterdrücken können. In früheren Träumen
von Niall war sie immer eine Beobachtende gewesen, jetzt aber beteiligte sie sich
zum ersten Mal an dem Geschehen.
Die Traumbilder waren unscharf und flüchtig, dennoch wusste sie, dass sie mit
ihm zusammen im Bett lag. Auf dem riesigen Bett lagen Felle drapiert.
Normalerweise wäre sie sich auf einem solchen Bett verloren vorgekommen, an
seiner Seite jedoch bemerkte sie kaum die enorme Größe der Schlafstätte, auf
der sie gemeinsam lagen. Er bestieg sie, und die unerwartete Hitze seines
Körpers erschreckte sie. Überrascht
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