Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)
kräftiger, gutaussehender Mann, Mitte vierzig, dunkle Haare und Bart. Sehr weiße Zähne. Da er mich anlächelte, überlegte ich mir, was ich Nettes sagen könnte.
»Ty klingt großartig!«
Dave neigte sich zu mir. »Er ist einfach brillant. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.«
»Was?«, fragte ich höflich.
»Bis er uns beide zu reichen Leuten macht. Haben Sie Ihren Spaß mit ihm, solange Sie können, denn bald wird er sehr, sehr beschäftigt sein.«
Was sollte das? Wieso kamen die Leute auf die blöde Idee, ich sei mit ihm zusammen?
»Oh. Schön. Hoffentlich verändert er sich dadurch nicht allzu sehr.«
Dave lächelte wissend. »O doch, das bleibt nicht aus.«
»So. Na dann. Ich gehe jetzt mal. Tschüs!« Ich hasse es, unhöflich zu sein, aber ich musste einfach hier raus.
Ich drängte mich durch die trunkene Menge – die Tür schon in Sichtweite –, als Tyler sich mir in den Weg stellte. Lachend fasste er mich an den Schultern, die Augen glänzend vom Alkohol und dem Adrenalin seines Auftritts. Seine Haare waren erstaunlich gewachsen und fielen ihm in wilden Locken um das Gesicht.
»Hey!«, sagte er. »Tut mir leid, dass ich dich vorhin so ins Rampenlicht gerückt habe.«
»Ja, es war mir ein bisschen peinlich.«
»Danke, dass du gekommen bist. Ich dachte schon, du magst mich nicht mehr.«
»Ich hatte einfach nur furchtbar viel zu tun. Tut mir leid, ich muss jetzt gehen.«
»Nein, noch nicht, ich möchte doch das neue Lied für dich spielen!«
»Tut mir wirklich leid, aber ich muss es mir ein andermal anhören.«
Tyler legte den Kopf schief und sah mich lange an, ohne zu lächeln. Ich glaube, er wusste in etwa, worum es ging. Was wahrscheinlich das Beste war.
»Tut mir leid«, wiederholte ich. »Mach’s gut.«
Er küsste mich auf die Wange, nahe an meinem Ohr und flüsterte: »Mach’s gut, Gracie.«
Frühling
Der Heimlich-Handgriff und ein Lieblingslied
Jedes Jahr, wenn der März kommt, klammere ich mich verzweifelt an die Hoffnung auf Frühling und packe meine dicke Kleidung weg, obwohl es draußen kaum wärmer wird, einem Wind und Graupelschauer um die Ohren pfeifen und sogar im April noch plötzliche Schneestürme auftreten können.
Selbstbetrug. Meine Spezialität.
Bei der Arbeit hatten sich die Wogen geglättet, und Bill und ich gaben uns Mühe, kameradschaftlich miteinander umzugehen. Das Gesundheitsbuch für Jugendliche war im Druck. Derzeit lektorierte ich ein Lehrbuch über die Geschichte Indianas für die vierte Klasse.
Ich ging zu Pegs Feier der Frühjahrstagundnachtgleiche. Wir aßen zu Abend, zündeten anschließend Kerzen an und pflanzten Kräutersamen in kleine Tontöpfe. Peg sprach davon, dass dies die Zeit des Neuanfangs, des neuen Wachstums und der Fruchtbarkeit sei. Wir sollten unsere Wünsche und Gebete mit weißer Kreide auf hartgekochte Eier schreiben und diese dann nacheinander in ein Farbbad aus geriebener Rote Beete tauchen.
Als ich an der Reihe war, schubste ich mein Ei in der roten Brühe herum und sah zu, wie es sich verfärbte.
Peg sah mir über die Schulter. »Auf deinem Ei steht ja gar nichts. Ist dir nichts eingefallen, was du gerne ändern würdest?«
»Ich bräuchte mehr Zeit zum Überlegen.«
Sie seufzte, hob mein Ei mit einem Schaumlöffel aus dem Farbbad und legte es vorsichtig auf ein weißes Stoffviereck. »Ach, schau mal!«
Auf meinem ansonsten gleichmäßig rosafarbenen Ei erschien überraschend eine winzige Verzierung. Ein Stückchen Rote Beete in Form eines perfekten kleinen Herzens.
»Hey, wie hast du das gemacht?«, fragte ich.
»Das war ich nicht!«
»Ich meine, wie hast du diese kleinen Rote-Beete-Herzen fabriziert?«
»Hab ich nicht! Ich habe die Knollen nur fein gerieben.«
»Komisch.«
Wir betrachteten das Ei.
»Das ist ein Zeichen, Grace«, prophezeite Peg. »Wart’s nur ab.«
»Was soll es denn bedeuten?«
»Na ja, ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht … Liebe .« Sie wickelte mein Ei in den Stofflappen ein und band ihn oben mit einem grünen Band zusammen. Wir sollten unsere Eier irgendwo vergraben, damit sich ihre Magie entfalten konnte.
»Liebe? Endlich erscheint mir ein Zeichen, und das war alles? Mehr erfahre ich nicht?«
Sie legte das Ei in meine Hand und schloss meine Finger darum. »Alles andere musst du selbst herausfinden.«
Steven verbrachte die ersten drei Märzwochen in London, wo er am europäischen Patent eines neuen Medikaments gegen Augenentzündung arbeitete. Ich genoss die Zeit allein.
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