Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)
Ich schlief mit allen vieren ausgestreckt in der Mitte des Bettes, lief nackt in der Wohnung herum und brachte Druckfahnen mit nach Hause, die ich auf dem ganzen Tisch ausbreitete. Dazu schlürfte ich eine Riesenschüssel Thai-Curry. Kann sein, dass ich mein T-Shirt bekleckerte. Kann sein, dass ich rülpste. Oder Schlimmeres. Dann stand ich womöglich auf und stellte bei einem Blick in den Badezimmerspiegel fest, dass ich mit den Haaren lose zu einem Knoten auf dem Kopf geschlungen aussah wie Tante Eusebia. Vielleicht war die Wimperntusche auf der einen Seite ganz verschwunden, dafür auf der anderen Seite runtergelaufen bis zum Mundwinkel. Vielleicht war ich der Boo Radley dieses Hauses, nicht Sylvia. Na und? Keiner sah mich außer mir.
Es beunruhigte mich, wie gut ich mit Stevens langer Abwesenheit zurechtkam. Aber das ist doch praktisch!, flüsterte mir meine innere Stimme zu. Denn er würde stets geschäftlich unterwegs sein, und nie wäre ich traurig darüber.
Ty hatte mich seit Wochen nicht mehr angerufen. Ich wusste, dass Peg noch immer jeden Montag zu seinen Konzerten ging, manchmal begleitet von Ed. Doch keiner von ihnen redete viel darüber, nachdem ich klargemacht hatte, dass ich nichts darüber wissen wollte. Manchmal sah mich Peg in einer Gesprächspause gespannt an, als müsse sie mir unbedingt etwas Aufregendes erzählen. Dann brachte ich sie rasch auf ein anderes Thema. Aber das hielt sie nicht ewig aus.
Als wir einmal spätabends miteinander telefonierten, platzte sie heraus: »Was hast du eigentlich für ein Problem mit Ty? Was hat er dir getan?«
»Nichts!«
»Und warum gehst du dann nicht mehr zu seinen Auftritten?«
»Willst du das wirklich wissen?«, fragte ich zurück. »Weil er andauernd mit mir flirtet.«
»Na und?«
»Er gibt aber keine Ruhe. Das nervt!«
»Er ist ein geiler junger Typ, der flirtet mit jeder. Kannst du das nicht einfach ignorieren? Ich glaube, du verpasst gerade ein erstaunliches soziologisches Phänomen.«
»Das da wäre?«
»Ich weiß, es klingt ein bisschen kitschig. Aber trotzdem: A Star Is Born.«
»Autsch!«
»Ernsthaft, Grace. Sein Publikum wächst von Woche zu Woche. Es ist wie bei einer Sekte. Faszinierend!«
»Ich habe dabei kein gutes Gefühl.«
Stille.
»Ich weiß, das klingt komisch«, gab ich zu.
»Du machst dir Sorgen, das tust du immer. Du solltest die Sache ein bisschen distanzierter betrachten und dir nicht zu viele Gedanken machen.« Peg klang ein wenig enttäuscht.
»Du kennst mich doch, ich mache mir immer zu viele Gedanken.«
Er führte noch immer die Hunde spazieren. Ich kannte den Ablauf, konnte ihn von meinem bequemen Platz in der Sofaecke aus akustisch verfolgen. Jeden Morgen um halb acht kam er pfeifend oder singend die Treppe herauf. Bismarck und Blitzen hörten ihn und bellten, bis er die Tür öffnete. Dann schloss sich die Tür wieder und dämpfte ihre freudigen Begrüßungen. Die Tür ging wieder auf. Hundepfoten tapsten über den Fußboden, und man hörte das schlurfende Durcheinander zweier aufgeregter großer Hunde und eines (vermutlich) verkaterten Mannes, die die Treppe hinuntergingen. Manchmal trat ich ans Fenster und sah ihnen nach, wie sie in Richtung Park spazierten.
Um acht Uhr war es so, als spielte jemand eine Tonbandaufnahme der Ankunftsgeräusche rückwärts ab. Um fünf nach acht, nachdem er die Hunde von der Leine gelassen und ihnen Wasser gegeben hatte, verließ er das Haus. Um Viertel nach acht war die Luft mit ziemlicher Sicherheit rein, und ich ging zur Arbeit.
Bis zu einem Dienstag Ende März. An diesem Morgen war alles anders. Er kam spät die Treppe herauf, erst um sieben nach acht, langsamer als sonst und ohne zu singen, zu pfeifen oder mit den Schlüsseln zu klimpern. Eine lange Pause trat ein. Dann: ein Klopfen an meiner Tür.
Ich saß wie erstarrt in meiner Sofaecke und hoffte darauf, dass er weggehen würde.
Nicht, dass ich erwartet hätte, ihn niemals wiederzusehen. Ich brauchte nur mehr Zeit zwischen dem letzten und dem nächsten Mal. Weitere Wochen. Vielleicht sogar Monate.
Ich kroch zur Tür und linste durch den Spion. Ich sah seinen Scheitel. Er musste an der Tür lehnen.
»Grace?«
Ich machte keinen Mucks.
»Scheiße!«, stöhnte er. Jawoll, verkatert.
Endlich schlurfte er davon und die Treppe hinunter, ohne die Hunde rauszulassen.
Ich konnte nicht länger als ein paar Minuten warten, sonst wäre ich zu spät zur Arbeit gekommen. Um Viertel nach acht schnappte ich mir meinen
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