Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)
in der Mittagspause begleitete mich Ed zu Saks . In vier Tagen fand die Vernissage meines Vaters statt.
Wir engten die Auswahl bis auf zwei winzige Kleider im Sechzigerjahre-Stil ein. Mein Favorit war ein ärmelloses knallrosa Etuikleid, das nicht zu figurbetont geschnitten, jedoch recht kurz war. Aber ich habe hübsche Beine, und solche Kleider sind ja wohl dazu da, sie zu zeigen. Das andere Kleid war mädchenhafter, schwarz, trägerlos, mit Flattersaum und einer großen schwarzen Schleife unter der Brust.
Ich schlüpfte in die Folterschuhe und trippelte aus der Umkleidekabine, um Ed beide Kleider zu zeigen.
»Und, welches soll ich nehmen?«, fragte ich.
»Weißt du, es ist ein Mythos, dass alle Schwulen einen guten Geschmack haben.«
»Was du nicht sagst.«
»Aber auf mich trifft es zu. Das Schwarze. Mit blickdichten schwarzen Strümpfen.«
»Sieht das nicht ein bisschen düster aus, alles in Schwarz? Findest du Rosa nicht fröhlicher?«
»Grace, mir fällt zum ersten Mal auf, dass du Busen hast. Warum lässt du die zwei nicht mal raus an die frische Luft? Steven wird begeistert sein.«
Ich kaufte das Kleid, die Strümpfe, einen trägerlosen Push-up-BH und dazu große, glitzernde, opalisierende Kristallohrringe. Siebenhundert Dollar später kehrten wir zur Arbeit zurück.
Ich musste zugeben, dass ich mir vielleicht öfter mal die Mühe machen sollte, mich aufzustylen.
Ich hatte noch immer Stirnfransen, aber ansonsten waren meine Haare so weit nachgewachsen, dass ich sie zu einem Dutt stecken konnte. Ich legte dick Mascara und rosafarbenen Lipgloss auf, und meine Brüste glichen zwei aneinandergeschmiegten Softballs auf einem Regal, hochgebunden mit einer Schleife. Warum man allerdings Softballs mit einer Schleife hochbinden sollte … aber egal. Die schwarze Strumpfhose und die hohen Absätze machten Endlosbeine. Es wirkte fast, als sei ich hochgewachsen. An diesem speziellen Abend sah ich heiß aus.
Als ich aus dem Bad kam, verließ Steven gerade das Schlafzimmer, und wir stießen fast zusammen. Er trat zurück, um mich anzusehen.
»Verdammt, ich storniere meinen Flug und begleite dich heute Abend nach Hause.« Er legte mir die Hände auf die Taille und zog mich näher zu sich heran, um mich zu untersuchen.
»Nein, das wirst du nicht tun«, lachte ich.
»Ich könnte behaupten, ich sei krank.«
»Na klar.«
Er schnupperte an meinem Busen. »Hast du ein neues Parfüm?«
»Nein.« Ich rückte seine Krawatte gerade. »Nur die Bodylotion, die ich immer benutze.«
Manchmal war er so unaufmerksam.
Unten wartete ein Wagen auf uns. Steven würde mich zu Dads Vernissage begleiten, für eine Stunde bleiben, und dann würde ihn der Fahrer zum Flieger nach München bringen.
Wir gaben meinen Mantel an der Garderobe ab, nahmen jeder ein Glas Wein vom Tablett eines Kellners und schlenderten umher, so dass Steven sich die Bilder von den kaputten Babypuppen ansehen und die Klangeffekt-Knöpfe ausprobieren konnte. Man hatte uns ein Programm gereicht, das eine Kurzbiographie meines Vaters sowie eine Liste der verschiedenen Soundeffekte enthielt.
Wir blieben vor einem der Bilder stehen, und Steven setzte die Kopfhörer auf und drückte den Knopf. Er verzog schmerzlich das Gesicht und nahm die Kopfhörer wieder ab. »Puh«, sagte er und warf einen Blick auf die Soundeffektliste. »Das müssen die trauernden, wehklagenden Paschtuninnen gewesen sein.«
Uff, da hatte ich noch mal Glück gehabt. Ich setzte ebenfalls Kopfhörer auf und drückte den Knopf. »Du bist mir eine Erklärung schuldig, Lucy!« , keifte Desi Arnaz mir selbstgefällig ins Ohr. Angewidert hängte ich die Kopfhörer zurück an den Wandhaken.
»Das ist ja noch gruseliger, als du es mir beschrieben hast«, stellte Steven fest, als wir uns die übrigen Gemälde im Raum ansahen.
»Ich weiß. Gruselig und traurig.«
»Ich kann kaum glauben, wie schön du aussiehst!« Er streichelte mich sanft. »Wie kannst du mir das antun, wo ich doch gleich wegmuss?«
»Tut mir leid«, erwiderte ich lächelnd. »Ich trage das Kleid ein anderes Mal für dich.«
»O ja, bitte. An dem Abend, an dem ich nach Hause komme.« Er überprüfte die Zeit auf seinem Handy. »Ich gehe noch mal zur Toilette, okay? Bin gleich wieder da.«
Ich tauschte bei einem vorbeikommenden Kellner mein leeres Weinglas gegen ein volles und entdeckte meinen Vater, der im angrenzenden Raum mit drei Leuten redete. Einer eleganten Asiatin, einem Managertypen im schicken Anzug
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