Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)
bestellten Peg und ich uns Calzones und machten es uns damit auf dem Sofa vor dem Fernseher bequem.
Jedes Mal, wenn die Kamera über das Grammy-Publikum wanderte, suchten wir nach Ty. Endlich entdeckten wir ihn, in die stylische Variante eines schwarzen Smokings gekleidet. Ohne Krawatte. Er sah sehr attraktiv aus, aber auch etwas überrascht, dort zu sein. Und Jean war bei ihm! Ich liebte ihn dafür, dass er seine Mutter mitgenommen hatte. Sie war toll frisiert und geschminkt und trug ein todschickes, glitzerndes, pfirsichfarbenes Kleid. Mit ihren Grace-Kelly-Zügen überstrahlte sie die meisten anderen Promifrauen im Publikum.
Die Show dauerte lange. Es traten Künstler auf, von denen ich noch nie gehört hatte und die mich nicht davon überzeugen konnten, sie in meinem iPod aufzunehmen. Ich nickte mindestens einmal ein, aber Peg schüttelte mich jedes Mal, wenn sie Ty im Publikum zeigten.
Er gewann die Preise nicht, für die er nominiert war. Sie zeigten sein Gesicht in diesen Momenten, auf einem Splitbildschirm, zugleich mit allen anderen Nominierten. Er wirkte enttäuscht, aber auch irgendwie erleichtert. Aber was wusste ich schon? Vielleicht war er am Boden zerstört. Peg und ich waren es jedenfalls.
»Was waren das denn für bescheuerte Wähler?«, fragte ich. »Haben die nur Stroh im Kopf? Oder sind die vielleicht taub?«
»Ist doch egal«, beruhigte mich Peg. »Wir wissen, dass er der Beste ist.«
Am nächsten Tag mailte sie mir einen Link zu einem YouTube -Video von einem Konzert von Ty in Dallas. Es war lang, etwa sieben Minuten. Er spielte einen alten Otis-Redding-Song, I’ve Been Loving You Too Long . Er begann am Klavier und ging dann mit dem Mikrophon ins Publikum hinein. Die Leute umringten ihn, berührten seine Arme, seine Haare, seinen Rücken. Es war ein unglaublicher Auftritt, sowohl künstlerisch als auch emotional. Die Leute um ihn wirkten ekstatisch. Begeistert.
Schau dir das an, Grace, schrieb Peg in ihrer E-Mail. Er hypnotisiert sein Publikum. Das habe ich gerade erkannt. Er bringt sie auf eine andere Bewusstseinsebene. Ty ist wie ein Medizinmann. Ein Schamane.
P.S.: Hast du ihn angerufen
Ein Schamane. Ich wusste in etwa, was das war. So etwas wie ein Zauberdoktor. Ich googelte den Begriff. Definition: eine Person mit besonderen magischen Fähigkeiten, der zwischen der sichtbaren Welt und der Welt der Geister vermitteln kann. Hm, das mit der Vermittlung leuchtete mir nicht richtig ein, aber er besaß auf jeden Fall die Fähigkeit, einen für eine Weile die Wirklichkeit vergessen zu lassen.
Dein Vater ist ein Schamane, sagte ich im Stillen zu dem Knubbel, der inzwischen zu groß und übermütig geworden war, um ihn unter weiter Kleidung zu verbergen. Aber trotzdem musst du eines Tages dein Zimmer aufräumen und den Müll rausbringen.
Eigentlich wusste ich, dass ich mich endlich zusammenreißen und es ihm sagen musste, aber ich war immer noch nicht so weit. Also hatte das Universum beschlossen, mich permanent an ihn zu erinnern. Als wäre mein explodierender Bauch nicht genug.
An einem Abend war ich auf dem Weg zu vegetarischem Sushi bei Ed und Boris – und, hey – überall war Ty. Auf Werbeplakaten für sein Album. Neben ihrem Haus in Chelsea war ein Baugerüst komplett mit Postern beklebt. Ich musste stehenbleiben und mich kurz sammeln, bevor ich zu den beiden ins Apartment ging. Es gibt nichts, was so den Appetit verderben kann, als über hundert Tyler Wilkies, die einen den ganzen Block lang verfolgen.
Dann: Ty auf dem Jumbotron . Dem riesigen Bildschirm am verdammten Time Square. Ein Musikvideo! Ich war gerade kurz aus dem Büro gegangen, um mir einen Bagel zu genehmigen, und dann DAS. Wenigstens konnte ich seine Stimme nicht hören.
In den nächsten Monaten war ich plötzlich ziemlich ernsthaft schwanger. Die kleine Person, die Platz in mir beanspruchte, turnte herum und machte sich bemerkbar. An einem Morgen betrachtete ich mich im Badezimmerspiegel, nackt und angeschwollen, und verstand endlich mit letzter Konsequenz, dass ich nicht alle Zeit der Welt hatte. Ich musste mich zusammenreißen und Ty anrufen. Wie schrecklich! Warum hatte ich nur derart lange gewartet? Erstarrt, wie das Kaninchen vor der Schlange.
Am selben Tag kam Peg nach ihrer Sonntagsmatinee ziemlich verzweifelt nach Hause.
»Grace«, sagte sie. »Ich muss dir etwas zeigen.«
Sie ging mit mir zu dem Laptop in ihrem Zimmer und öffnete eine der Sensations-Klatschseiten, die im Internet wie Pilze aus
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