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Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)

Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)

Titel: Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shelle Sumners
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Versuch.«

    Mitte Januar ging ich zu meiner Ultraschalluntersuchung.
    Ich legte mich auf die Liege, zog meinen Pullover hoch, und Dr. Goldstein quetschte mir vorgewärmtes Gel auf den Bauch. Dann fuhr sie mit dem Ultraschallkopf rund um meinen Nabel und über meinen Unterleib. Dabei blickte sie auf den Monitor. Da ich den Bildschirm nicht sah, beobachtete ich ihren Gesichtsausdruck.
    Sie sah so ernst, so konzentriert aus. Mehrmals veränderte sie die Position des Ultraschallkopfs, bevor sie mich ansah und lächelte.
    »Es sind doch keine Zwillinge, oder?«, fragte ich mit belegter Stimme.
    »Nein, nur ein gesundes Baby. Möchten Sie mal sehen?«
    Ich nickte.
    Sie drehte mir den Monitor zu. Das Bild war körnig und bewegt. Als sie mit dem Ultraschallkopf über meinen Bauch fuhr, erschienen Glieder und Körperteile und verschwammen wieder mit anderen Körperteilen. Dr. Goldstein zeigte mir die Wirbelsäule, die Füße, das schlagende Herz. Den Kopf. Ich konnte die Umrisse eines Gesichts erkennen. Einen perfekt geformten Arm, eine Hand, die zum Mund ging.
    »Will es …?«
    »Am Daumen lutschen, ja.« Sie lächelte. »Möchten Sie das Geschlecht wissen?«
    Natürlich! Wie sollte ich denn sonst planen? »Ja bitte.«
    Sie zeigte auf eine ziemlich nebulöse Region auf dem Monitor. »Hier sieht man einen kleinen Penis und Hoden.«
    Ja! Ich sah es. » Ein Junge! «, hauchte ich.
    »Ein Junge«, bestätigte sie. »Herzlichen Glückwunsch.«
    »Ein Junge.«
    Dr. Goldstein lächelte und tätschelte mir die Hand. »Ich habe drei Jungs. Sie werden das hinkriegen.«
    Sie druckte Ultraschallbilder für mich aus. Nach der Untersuchung ging ich in einen Coffeeshop, bestellte koffeinfreien Milchkaffee und breitete die wundersamen Bilder vor mir auf dem Tisch aus.
    Ein Junge. Trotz der fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit hatte ich damit nicht gerechnet. Was sollte ich denn bloß mit einem Sohn anfangen? Ich war nur mit meiner Mutter aufgewachsen. Ich hatte keine Ahnung von den Anforderungen an mich als Mutter bei der Erziehung eines Sohnes. Ich wusste nicht, wo ich mit meiner Planung anfangen sollte.
    »Soso«, sagte ich zu dem Knubbel. »Du bist also ein Junge. Ich werde mich erkundigen müssen. Einschlägige Literatur lesen. Ich meine, welche Unterschiede kann es schon geben? Wahrscheinlich wirst du irgendwann Jungssachen machen wollen. Vielleicht. Oder magst du vielleicht Mädchensachen? Manche Leute sind ja eine Mischung zwischen Junge und Mädchen. Was völlig in Ordnung ist. O nein, ich bin wirklich doof, das jetzt schon alles zu überlegen! Siehst du, in was für ein Schlamassel du gerätst? Du bist ein Versuchskaninchen. Tut mir leid. Du wirst mit mir vorlieb nehmen müssen.«

    Als ich an diesem Nachmittag zur Arbeit zurückkehrte, bat ich Lavelle um ein Gespräch unter vier Augen in ihrem Büro.
    Wir setzten uns zusammen auf ihr Sofa.
    »Ich weiß nicht, ob es dir schon aufgefallen ist«, begann ich, »aber ich bin schwanger.«
    »Ich habe mir schon so etwas gedacht.«
    »Und du weißt, dass ich nicht verheiratet bin.«
    Sie nickte und zuckte mit den Schultern.
    »Der Vater ist jemand, den ich sehr gern habe, und er ist wirklich in Ordnung, aber er ist im Moment nicht in der Nähe. Ich … Ich weiß nicht, wie es in dieser Hinsicht weitergeht. Im Moment stehe ich jedenfalls alleine da.«
    »Grace, ich hoffe, du machst dir keine Sorgen darüber, dass irgendjemand hier schlecht über dich denkt. Du weißt, dass niemand von uns dich verurteilt.«
    »Nein, das weiß ich. Ich schäme mich eben ein bisschen … die Ironie besteht nämlich darin, dass es passiert ist, weil wir nicht konsequent verhütet haben.«
    Lavelle lächelte zaghaft.
    »Wir waren so überschwänglich, dass wir sorglos geworden sind. Gut, dass ich keine jungen Mädchen unterrichte. Ich wäre wirklich ein schlechtes Beispiel.«
    Jetzt runzelte Lavelle die Stirn. »Grace, ich muss dir mal ganz ehrlich etwas sagen.«
    »Bitte.«
    »Ich kenne niemanden, der perfektionistischer ist als du. Du bist sehr hart zu dir, und manchmal auch zu anderen. Vielleicht ist das ein Zeichen, dass du dich ein bisschen entspannen solltest. Wir können einfach nicht alles kontrollieren, so sehr wir es auch versuchen. Es wird immer Überraschungen geben.«
    »Da sagst du was. Ich bekomme einen Jungen, Lavelle! Und ich weiß nichts über Jungs!«
    Sie tätschelte mir das Knie. »Siehst du? Und wirf bitte sofort alle Ratgeber in den Müll.«

    An einem bitterkalten Februarabend

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