Wie verkuppelt man eine Familie?
schüchterte ihn sogar seine einzige Lieblingstante ein. Dagegen hatte er mit Garnet angeblich nonstop geredet.
Tucker konnte das alles nicht verstehen. „Hast du in letzter Zeit mit den Eltern gesprochen?“
„Natürlich. Sie rufen beide mindestens einmal pro Woche an. Natürlich auf die Schnelle, weil sie nie Zeit haben, aber sie müssen mir ständig unter die Nase reiben, dass sie immer noch sauer sind, weil ich die Hochzeit abgesagt und George unwiderrufbar wehgetan habe. Weil nichts, was ich neuerdings tue, in ihren Augen sinnvoll ist. Genau in dem Moment wird das Gespräch unweigerlich durch ein Pager-Signal vom Krankenhaus unterbrochen und sie lassen mich wieder für ein paar Tage in Ruhe.“
Der schnippische Ton war typisch für Rosemary. Trotzdem freute sich Tucker, dass seine kleine Schwester vorbeigekommen war, denn so konnte er sich überzeugen, wie es ihr wirklich ging.
Schon seit seiner Einschulung fühlte er sich seinen jüngeren Geschwistern gegenüber mehr wie ein Vater denn als ein Bruder, weil ihre Eltern so häufig abwesend gewesen waren. Dafür konnten sie nichts. Beide waren Topchirurgen und ständig auf Bereitschaft. Er erinnerte sich nicht an einen einzigen Geburtstag oder Feiertag, an dem beide Elternteile anwesend gewesen wären.
Seine väterlichen Gefühle galten vor allem Rosemary. Seit sie ihrem Verlobten George davongelaufen war, trekkte sie ganz allein durch Wälder und über Berge und verbrachte viel Zeit in Gegenden ohne Handyempfang.
Natürlich sorge ich mich um sie.
Irgendetwas war schiefgelaufen mit dem Mann, den sie beinahe geheiratet hätte. Sie war gekränkt, sehr schwer gekränkt. Sie sprach zwar nie darüber, aber ihre Augen blickten oft verloren und sie vertraute sich niemandem mehr an.
„Hey, Erde an Tucker!“, rief sie. „Was du auch immer gerade denkst, hör auf damit. Was ist mit der Lady?“
„Welcher Lady?“
„Tu nicht so unschuldig und vergiss nicht, mit wem du redest! Ich habe von dem Projekt gehört, das die Jungs in den Sommerferien absolvieren müssen. Seit ich ihr begegnet bin, weiß ich, dass mehr dahintersteckt. Du hast seit langer, langer Zeit keine Frau mehr so angesehen.“
„Unsere Jungs gehen in dieselbe Klasse, seit ewigen Zeiten schon. Da ist es doch normal, dass sich die Eltern kennenlernen.“
Rosemary nickte ernst. „Ach so, deswegen hast du sie so verdattert angesehen. Und nebenbei bemerkt: Sie hat dir auch schöne Augen gemacht.“
„Blödsinn! Das hat sie noch nie getan.“
Wider Erwarten feuerte Rosemary keine spitze Bemerkung ab.
Er starrte sie finster an. „Was denn!?“
„So ist es also“, murmelte sie.
„Was soll das heißen?“
„Nichts weiter.“ Sie stand auf. „Will hat versprochen, mit mir Karten zu spielen. Danach fahre ich nach Hause.“
Aber auch nur vielleicht, dachte Tucker. Er war überzeugt, dass sie in einem der Gästezimmer übernachtete, wenn er sie dazu drängte. Und dies beabsichtigte er. Selbst wenn er so wütend auf sie war, dass er sie am liebsten erwürgt hätte – was häufig vorkam –, so war das Band zwischen ihnen sehr stark.
Er kramte im Kühlschrank und fand wider Erwarten mehr als genug, um seinen Teller zu füllen. Während er aß, wanderten seine Gedanken unweigerlich zu Garnet.
Beinahe wäre es zu einem Kuss gekommen oder zu einer leidenschaftlichen Umarmung. Er wusste es und sie wusste es auch. Er konnte sich nicht erklären, warum er die Gelegenheit nicht ergriffen hatte, um der Frage auf den Grund zu gehen, ob sich zwischen ihnen etwas entwickelte.
Sein Instinkt verriet ihm, dass es so war. Und es handelte sich um etwas Ernstes. So ernst und so stark, dass es womöglich kein Zurück mehr gab, wenn der erste Schritt erst einmal gemacht war.
Das war nicht unbedingt schlimm. Es konnte sogar großartig sein, aber es gab da gewisse Grenzen, die Tucker niemals überschritt. Er war in einer Familie aufgewachsen, in der Kindern keine Priorität eingeräumt wurde, und dann hatte er eine Frau geheiratet, die sich ganz genauso verhalten hatte – und dieses Verhalten war in seinen Augen grundfalsch.
Nach allem, was er bisher gesehen hatte, war Garnet ebenso verrückt nach ihrem Sohn wie er nach seinem. Allerdings nahm er das Wort Familie ungewöhnlich ernst. Er machte keine halben Sachen und wollte keine halbherzige Familie.
Es mochte verrückt sein, sich in einem so frühen Stadium einer Beziehung solche Gedanken zu machen, aber so war er nun einmal veranlagt. Ihm lag nichts
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