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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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therapeutische Unterstützung aufzugeben würde für einen Menschen mit Magersucht bedeuten, sich wieder dem Gefühl der Ohnmacht ausliefern zu müssen. Deshalb ist eine begleitende Therapie nötig, durch die erlernt werden kann, wie man sich auf andere Weise angemessen abgrenzen kann.
    Der angstvolle Blick, den mir Farina zuwirft, als ich von ihr verlange, ihren Hund nicht mehr mit den üblichen Kommandos zu kontrollieren und dafür eine Beziehung zu ihm zu wagen, überrascht mich also nicht. Dennoch legt sie plötzlich in ganz überzeugender Weise Entschlossenheit an den Tag: »Okay. Kein Problem. Ich mach es.« Sie tritt Lord hastig gegenüber, macht scharf »Ssst« und schiebt ihn grob zurück. Der General blickt sie verdutzt an, schnauft tief durch und beginnt empört zu bellen.
    »Farina, ich weiß, dass die Situation schwierig für dich ist. Aber es nützt weder Lord noch dir, wenn du etwas nur deshalb tust, um mich von etwas zu überzeugen, von dem du selbst gar nicht überzeugt bist. Du hast den weiten Weg von D. heute hierher gemacht, um etwas zu ändern. Wenn du zurückfährst und es nicht einmal versucht hast, wirst du es vielleicht nie wieder versuchen. Gib dir und Lord doch diese eine Chance. In Ordnung?«
    Die junge Frau schüttelt kurz ihren ganzen Oberkörper, senkt den Kopf und sagt flehentlich: »Ich kann das nicht. Er würde weglaufen, wenn ich mich entferne.«
    »Wann hast du ihn denn das letzte Mal frei laufen lassen?«, frage ich.
    Sie hebt den Kopf und schluckt: »Vor zwei Jahren vielleicht. Da ging er noch manchmal ohne Leine.«
    »Und was ist dann passiert?«, frage ich nach.
    Sie schluckt wieder: »Er hat einen anderen Rüden angefallen.«
    »Hat er ihn verletzt?«
    Farina hebt die Schultern. »Weiß nicht. Die Frau ist mit ihrem Hund weitergelaufen. Sie hat sicher gedacht, dass Lord ein Monster ist und ich ihn nicht im Griff habe. Dabei hört er eigentlich gut auf mich.«
    »Farina«, ich blicke sie direkt an, »Ich glaube nicht, dass Lord lediglich gut auf dich hört. Ich habe eher das Gefühl, dass er ›zu gut‹ hört und meint, er müsse alles immer noch besser machen. Er ist die ganze Zeit über angespannt. Er verhält sich ein wenig wie du selbst.«
    »Wie meinst du das?«, fragt sie erstaunt.
    »Nun, ich habe das Gefühl, dass du denkst, du darfst keine Fehler machen. Vielleicht dachte die Frau mit dem anderen Hund ja auch nur, okay, diese beiden Rüden können sich nicht besonders gut leiden, deshalb gehe ich einfach weiter. Wieso sollte sie darauf kommen, dass Lord ein Monster ist? Vielleicht sind das nur die Gespenster deiner Angst?«
    Farina blickt mich skeptisch an: »Ich hasse es, Fehler zu machen.«
    »Und woraus lernst du dann?«, frage ich.
    Die junge Frau sieht mich ratlos an. »So habe ich das noch nicht gesehen. Ich habe einfach Angst, dass mich Menschen nicht mögen, wenn ich etwas falsch mache«, sagt sie leise.
    »Also, ich würde einen Menschen, der NIE etwas falsch macht, furchtbar finden. Ich würde mich neben ihm immer falsch fühlen mit meinen Unvollkommenheiten.«
    »Du wirkst aber doch so sicher«, wirft sie zaghaft ein.
    »Wenn das so ist, dann nur, weil ich mir gestatte, auch Fehler zu machen. Das macht ziemlich angstfrei.« Ich blicke sie lachend an.
    Farina betrachtet mich wie eine seltsame Pflanze, und ein kleines schiefes Lächeln rutscht ihr ins Gesicht.
    »Wärst du bereit für ein Experiment?«, frage ich einladend.
    Sie richtet einen angstvollen Blick auf mich.
    »Ich möchte dir demonstrieren, dass Lord sich nicht nur entspannen kann, sondern auch will, wenn er vorher Energie loswerden konnte und keine Verantwortung für dich tragen muss. Wenn es nicht so ist, lassen wir alles, wie es ist.«
    Farinas Hals bekommt rote Flecken. Sie reibt ihre Handflächen an der abfallenden Stelle, an der sich bei anderen Frauen die Hüfte wölbt.
    Ich nehme Lords Leine in die Hand und zeige, dass ich bereit bin für das Experiment. Zögernd willigt Farina ein und tritt etwas zur Seite.
    Ich gehe mit aufrechter Körperhaltung auf den Hund zu und stoppe ihn mit einem sanften »Sss«, als er um mich herumlaufen will. Ich entbinde ihn davon, Farina zu schützen, indem ich selbst diese Aufgabe beanspruche. Er legt die Ohren an und bleibt unschlüssig stehen. Dann richtet er seinen Blick starr auf die junge Frau.
    »Ssst.« Ich unterbreche auch diese Form von Kontrolle.
    Als er mit seiner Aufmerksamkeit bei mir angekommen ist, hole ich aus meinem Rucksack ein Hasenfell.

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