Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
ein feiner, gut hinhörender Hund.
Tatsächlich sieht er kurz vom Kong weg, gleich darauf aber wieder hin. Deshalb lasse ich, wie auch unter Hunden üblich, nach dem erfolglosen Abbruchsignal eine Konsequenz folgen. Ich imitiere einen kleinen Schnapper, indem ich meine Fingerkuppen (ohne den Einsatz von Fingernägeln) kurz mit Druck an seinen Brustkorb setze. Sofort schaut er mich an, und sein Schwanz hört auf, erregt zu schlagen.
»Schhhhhhh.« Ich stoße den Kong mit dem Fuß an ihm vorbei, sodass dieser nun näher bei ihm und weiter von mir weg liegt. Auch das ist Kommunikation, denn ich sage ihm damit: »Siehst du, ich begebe mich sogar in eine schlechtere Position, weil ich mir sicher bin, dass du ihn nicht holen willst, wenn ich dich vorher gestoppt habe.« Dieses Verhalten sagt etwas über mein Selbstbewusstsein und meine Souveränität aus und erleichtert es Wilson, sich mir anzuvertrauen. Er dreht den Kopf zum Kong, und ich sehe an seiner Körperspannung und seinem Blick, der vom Kong zu mir wandert, dass er abwägt, ob er ihn sich schnappen soll oder nicht.
»Hey«, teile ich ihm mit, dass ich seinen Konflikt bemerkt habe. Wilson löst den Blick vom Kong, legt sich vor mich hin und wartet. Weil er sich auf unsere Kommunikation und meine Entscheidungen konzentrieren muss, kann er sich nicht mehr so stark auf seine Sucht konzentrieren. Hätte ich von ihm ein stumpfes Kommando wie »Platz« verlangt, hätte er sich im »Platz« weiter auf den Kong konzentriert und nicht auf mich. Selbst mit einem Kommando wie »Schau«, bei dem der Hund konditioniert wurde, seinen Menschen anzusehen, entsteht kein wirklicher Kontakt, wenn der Außenreiz zu groß ist. Es bleibt dann bei einem bloßen Ausführen des Kommandos, weil die Reaktion des Hundes nur erlernt ist und nicht durch eine Aktion instinktiv hervorgerufen wurde. Genau die Instinkte jedoch wirken, weil sie aus demselben Stoff wie Süchte und Triebe sind, als wirksames »Instrument« im Umgang gegen sie. Mit erlernten Automatismen gegen die Intensität einer Sucht antreten zu wollen ist für mich, als würde man einem Papierdrachen befehlen, in welche Richtung er fliegen soll. Ich kann nur mit dem gerade vorhandenen Wind und der Beschaffenheit des Drachens arbeiten.
Wilson hechelt weniger, und sein Zittern hat aufgehört. Er sieht mich noch immer aufmerksam an und wartet auf die nächste Entscheidung. Dabei führt er jedoch kein Kommando aus. Es sind seine eigenen Impulse, die meinen Aktionen folgen.
Ich bringe mich jetzt drei Meter hinter den Kong, sodass dieser nun zwischen uns liegt.
»Wilson, hierher«, rufe ich ihn freundlich. Der Hund läuft sofort auf mich zu, doch sein Blick bleibt starr auf den Kong gerichtet.
»Heyja!«, sage ich kraftvoll bestimmt, weil ich meine Energie mit etwas mehr Intensität über die seine legen muss, um ihn in einem solchen Augenblick zu erreichen. Wilson hebt den gesenkten Kopf, der bei ihm eine Hüte- und Jagdhaltung anzeigt. Dann geht er in einem kleinen Respektbogen am Kong vorbei auf mich zu und setzt sich neben mich. Ich wiederhole das Ganze, indem ich die Seite wechsle und nun von dort, wo vorher Wilson stand, rufe: »Wilson, hierher.«
Dieses Mal läuft der Hund, ohne auf den Kong zu blicken, an ihm vorbei und sieht mich an.
»Wunderbar, sehr gut, mein Junge«, erkenne ich sein Verhalten freudig an, als er bei mir ist. Ich befestige eine Schleppleine an seinem Geschirr, sehe zu der Frau hinüber und sage: »Wir könnten nun die weggelassene Übung vom Anfang machen, nur dass ich jetzt mit Wilson vom Kong weglaufe und Sie ihn werfen können. Ziel ist, dass er dennoch bei mir bleibt. Ich will das nicht vorführen, um zu zeigen, wie toll das bei mir klappt, sondern um zu demonstrieren, welchen Unterschied es macht, ob man führt oder kommandiert. Für diese Situation hier habe ich jetzt die Führung übernommen.« Ich weise auf Wilson und den Kong.
Die Frau mustert mich einen Moment lang mit zurückgekehrter Skepsis, spricht jedoch in einem neutralen Tonfall, als sie sagt: »Na, da bin ich ja gespannt. Das wäre das erste Mal, dass er nicht hinterhergeht.«
Bereits als sie sich bückt, um den Kong aufzuheben, geht durch Wilson wieder ein Ruck.
»Heyja!«, stoppe ich ihn mit einer knappen, kraftvollen Präsenz.
»Und komm«, bitte ich ihn, mir zu folgen.
Wilson geht angespannt neben mir, und seine dem Kong zugewandte Körperseite driftet leicht von mir weg.
»Schhh«, gehe ich um ihn herum und blockiere
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