Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
Geländer der Reling stand, und rief den vereinbarten Satz.
»Eliah, komm sofort da runter!«
Ihr Sohn drehte sich raffiniert so ungünstig, dass sie ihn nicht zu fassen bekam. Im nächsten Augenblick ließ er sich wie geplant durch die Streben des Geländers rutschen.
Constanze schrie gellend.
Hin und her gerissen zwischen Angst und Stolz sah sie zu, wie Eliah platschend ins Wasser fiel. Er hätte einen Orden verdient für diese mutige Vorstellung.
Ohne eine Sekunde zu zögern, schüttelte sie den Mantel von den Schultern, warf ihn zusammen mit ihrer Handtasche aufs Deck und griff nach dem Geländer.
Sie hörte noch jemanden rufen. »Halt, warten Sie auf den Rettungsring«, dann holte sie tief Luft und sprang.
Die eiskalten Wassermassen schlugen wie nasse Tücher über ihr zusammen. Einen Moment lang hörte sie das laute Perlen der Luftblasen in den Ohren, dann durchbrach sie wieder die Oberfläche. Hektisch sah sie sich nach Eliah um. Er befand sich ungefähr drei Meter neben ihr und kam bereits mit schnellen Bewegungen auf sie zugepaddelt. Ein rascher Blick nach oben gab ihr die Sicherheit, dass man sie durch den Rauch von Bord aus tatsächlich nicht sehen konnte.
Constanze biss die Zähne zusammen. Sie strampelte die Schuhe von den Füßen und machte sich daran, ihrem Sohn entgegenzuschwimmen. Beide Hände ausgestreckt ruderte sie durch das dunkle Wasser, bis sie seinen Arm zu fassen bekam. Einige Meter über ihr wurden Hilfeschreie laut, ein Rettungsring kaum durch den Rauch geflogen und landete ziellos im Wasser. Constanze drückte Eliah an sich. Sie durften keine Zeit mehr verlieren, mussten so schnell wie irgend möglich untertauchen.
Sie sah Eliah in die Augen, küsste ihn kurz auf die Stirn und begann leise zu zählen. »Drei, zwei, eins.«
Sie wartete auf Eliahs tiefen Atemzug, dann gingen sie beide unter. Constanze knickte ihren Körper und schwamm einhändig in die Tiefe, wobei sie Eliah an der anderen Hand hinter sich herzog. Sie kam nicht einmal zwei Meter weit, dann hörte sie hinter sich ein lautes Rauschen. Strampelnd kämpfte sie sich voran. Jemand war ihnen hinterhergesprungen. Das durfte doch nicht wahr sein.
Constanze verdoppelte ihre Anstrengung, bis sie einen Ruck am Arm spürte, dann hatte der vermeintliche Retter Eliah von ihr weggerissen. Voller Panik drehte sie sich um, bereit, ihm zu folgen, doch wie aus dem Nichts erschien plötzlich eine dunkle Gestalt neben ihr und hielt sie zurück. Silas griff nach ihr, wobei er sie zu sich herumdrehte. Constanze ruderte heftig mit den Händen, um ihm zu signalisieren, dass etwas schiefgegangen war. Einen Moment befürchtete sie, er könnte sie nicht sehen, doch dann umfassten seine behandschuhten Hände zielsicher ihr Gesicht. Er trug eine seltsam geformte Taucherbrille, die offenbar das Restlicht verstärkte. Sie streckte den Arm aus und zeigte hektisch nach oben. Silas schüttelte den Kopf, drückte ihr einen Atemregler zwischen die eiskalten Lippen und zerrte sie mit kräftigen Flossenschlägen in die Tiefe.
Constanzes Herz klopfte wild, als sie sich erstaunlich schnell vom Boot entfernten. Immer wieder sah sie nach oben, voller Angst, was mit Eliah geschehen würde. An der unscharfen Lichtbewegung der Wasseroberfläche konnte sie ableiten, dass er mit seinem Retter aufgetaucht war. Der Drang, sich loszureißen und zu ihrem Sohn zu schwimmen, war schier übermächtig. Nicht umsonst hielt Silas ihre Hand in schraubstockartigem Griff. Sie konnte nicht zurück, so gern sie es wollte.
Schon wenige Sekunden später erreichten sie eine Tiefe, in der es nur noch pechschwarze Finsternis gab. Silas hielt Constanze dicht an seinen Körper gepresst. Beide Arme um sie geschlungen nahm er sie mit sich. Die präzisen Bewegungen, mit denen er durch die Dunkelheit pflügte, bestätigten ihren Eindruck, dass es sich bei seiner seltsamen Taucherbrille um eine Art Nachtsichtgerät handelte. Er wusste genau, wo es hinging – sie nicht. Constanze erkannte rein gar nichts. Trotzdem versuchte sie, im Einklang mit ihm zu schwimmen. Zwar halfen ihre Bewegungen nicht wirklich dabei, voranzukommen, aber wenigstens ließ sich so die Kälte besser ertragen.
Obwohl es sich wie Stunden anfühlte, vergingen in Wahrheit nur sieben Minuten, bis sie zwischen dem Schilf am Ufer auftauchten. Silas schob sich die Maske aus dem Gesicht und fasste augenblicklich unter Constanzes Beine, um sie aus dem kalten Wasser zu holen. »Bist du okay, geht’s dir gut?« Ohne
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