Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
geküsst?
Großer Gott!
Wenige Zentimeter voneinander entfernt starrten sie sich in die Augen. Constanze blieb unbewegt, nur ihr Atem war zu hören. Aufgewühlt und schnell. Daniel hob die Hand, ließ sie einen Moment zögernd in der Luft hängen, dann umfasste er ihr Kinn. So vorsichtig, als wollte er einen Schmetterling fangen. Das Papier um den Blumenstrauß knisterte leise, als er sich langsam vorbeugte. Constanze blinzelte atemlos. O Gott, o Gott …
Sein Mund fand ihren, begegnete spielerisch ihren leicht geöffneten Lippen. Er küsste sie nur zart, ehe er sie wieder freigab, aber es reichte, um ihre Sinne gnadenlos durcheinanderzuwirbeln. Erregende Schwere sickerte durch ihren Körper und weckte Empfindungen, die jenseits von allem lagen, was sie bisher zu kennen geglaubt hatte. Gefangen zwischen Schock und Faszination wich sie zurück.
*
Silas ließ ihr Kinn los. Damit hatte er schon gerechnet. Man brauchte nun wirklich keine Landkarte, um zu erkennen, wie dicht er vor ihrer Grenzlinie stand. Hätte er sie so wild geküsst, wie ihm der Sinn stand, wäre er kilometerweit darüber hinausgaloppiert.
Wachsam betrachtete er ihr Gesicht. Weil er nicht an sich halten konnte, griff er nach einer einzelnen Haarsträhne neben ihrem Ohr und ließ sie durch seine Finger rinnen. Constanze wehrte sich nicht, sah ihn nur sprachlos an, als könnte sie nicht glauben, was gerade zwischen ihnen geschehen war.
Er senkte die Hand und räusperte sich. »Schlaf gut, Biene.« Der Satz war einer der schwersten seines Lebens.
Bei der Erwähnung ihres Kosenamens musste Constanze zwar lächeln, aber die Art, wie nervös sie dabei schluckte, machte ihm klar, dass er mit seinem Rückzug goldrichtig lag. Viel weiter hätte er heute Abend nicht gehen dürfen.
*
»Du auch.« In einem verzweifelten Versuch, das Karussell in ihrem Innern zum Halten zu bringen, drückte Constanze die Blumen an sich. Tausend Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum. Was hätte sie gemacht, wenn er sie einfach weiter geküsst hätte? Was, wenn er, statt auf Abstand zu gehen, noch näher an sie herangekommen wäre? Hätte sie es verhindert? Hätte sie ihn aufgehalten? Plötzlich war sich Constanze nicht mehr so sicher … Und dann?
Dieser Gedanke erzeugte Angst, wischte alle Vertrautheit, die sich beim Tanzen zwischen ihnen aufgebaut hatte, beiseite. Stattdessen bohrte sich Frustration in ihren Magen. Warum versetzten sie diese Gefühle immer noch in Panik? Warum konnte sie nicht einfach locker bleiben? Die Enttäuschung war so gewaltig, dass sie am liebsten die Hand nach Daniel ausgestreckt hätte, nur um jene Nähe wieder herzustellen. Sie brachte es nicht fertig. Nicht einmal das wollte ihr gelingen. Ihre Muskeln waren wie gelähmt.
Daniel erlöste sie aus dem inneren Konflikt, indem er sie berührte. Er streichelte zärtlich ihren Arm, dann ging er langsam die Stufen zum Auto hinab. Mit gemischten Gefühlen blickte Constanze ihm nach. Einerseits war sie froh, dass er ohne Verwicklungen ging, andererseits auch wieder nicht. Es war zum Durchdrehen.
Kurz vor dem Einsteigen wandte er sich noch mal um. »Geh lieber rein, es ist kühl hier draußen.«
Constanze schüttelte den Kopf. »Es lässt sich gerade noch aushalten.« Die Untertreibung des Jahrhunderts. In Wahrheit fühlte sie sich, als könnte sie zur globalen Erderwärmung beitragen. Sämtliche Kälte war wie weggeblasen, verbrannt unter seinem Kuss.
Sie stand noch immer an der Tür, als er längst davongefahren war. Den Kopf in den Nacken gelegt, blickte sie in den dunklen Himmel. Sie war jetzt neunundzwanzig und hatte weiß Gott schon einiges erlebt. Und trotzdem fühlte sie sich, als hätte sie nie zuvor einen Mann geküsst.
Daniel ging ihr wahrlich unter die Haut. Noch immer bebte ihr Körper wie unter kleinen Schockwellen. Dabei hatte er sie im Grunde kaum berührt. Jedenfalls weitaus weniger als beim Tanzen. Aber die Art, wie er es getan hatte. Und dann dieser Kuss, die sinnliche Welt, die sich darin verbarg …
Unglaublich. Während sie langsam hineinging, fragte sie sich, ob sie wohl jemals wieder diese Treppe betreten konnte, ohne an Daniel zu denken.
11.
Erlebnisküche
A m darauf folgenden Montag rannte Constanze in aller Herrgottsfrühe zwischen Bad und Kinderzimmer hin und her. Es war der Tag, an dem Eliah mit Susanne, Frank und ihren Jungs ins Ferienlager fahren würde. Da sie pünktlich um neun in der Buchhandlung stehen musste, hatten sie nicht
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