Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
was auch nur annähernd zum Schlafen geeignet wäre. Auf einem antiken Stuhl neben dem Bett hing ein dunkelbraunes Hemd. Das war alles. Sie schluckte und drehte dem Bett abrupt den Rücken zu, ehe sie noch zu der Erkenntnis kam, dass sie deshalb nichts finden konnte, weil er schlichtweg nichts trug.
Der große Wandschrank kam ihr als Ablenkung gerade recht. Konzentriert öffnete sie die Schwingtür und beäugte den Inhalt. Daniels Kleidung bestand ausnahmslos aus geschmackvollen Stücken, aber das wunderte sie nicht, nach dem, was sie bisher an ihm gesehen hatte. Mit den Fingerspitzen glitt sie sacht über den schwarzen Anzug, den er auf dem Ball getragen hatte, dann griff sie entschlossen nach der obersten Schrankschublade.
Systematisch inspizierte sie jedes Fach. Viele waren leer, was bestimmt damit zusammenhing, dass Daniel ein Mann war und vermutlich noch nicht lange in dem Haus lebte. Trotzdem ließ sie keins aus, getrieben von einer unbestimmten Angst, einer dunklen Ahnung, dass er etwas zu verbergen hatte. Sie fand sauber gestapelte T-Shirts und Pullover. Vorsichtig, stets darauf bedacht, nichts zu verändern, hob sie die Wäschestücke an und blickte darunter. Nichts, rein gar nichts. Als sie an der Schublade mit seiner Unterwäsche ankam, biss sie sich auf die Unterlippe. Was tat sie hier? Rechtfertigten Franks Hinweise und die Tatsache, dass sie eine Waffe gefunden hatte, Daniels Privatsphäre zu verletzen und Hausfriedensbruch oder Schlimmeres zu begehen?
Das schlechte Gewissen wurde immer drängender. Wie konnte sie Daniel jemals wieder in die Augen sehen, nachdem sie in seinen Boxershorts gewühlt hatte? Eilig schob sie das Fach wieder zu und schloss gleich den restlichen Schrank – dabei war es für einen Rückzieher ohnehin zu spät. Sie stand ja bereits mitten in seinem Schlafzimmer.
Nervös ließ sie den Raum hinter sich und betrat stattdessen das Bad. Die Einrichtung entsprach vom Stil her der im Nebenzimmer. Spartanisch, aber von guter Qualität. Robuste Teakmöbel und dunkelblaue Handtücher hoben sich von den alten weißen Keramikfliesen ab, gaben dem Raum einen gemütlichen Touch. Constanze vermied jeden Blick in den Spiegel. Auch ohne Beweis wusste sie, dass sie rot wie eine Tomate war. Trotzdem zog sie sich nicht zurück, sondern öffnete auch hier penibel jeden Schrank, fand aber ein weiteres Mal nichts, was nicht in einen normalen Haushalt gehörte.
Sie wiederholte die Prozedur im Arbeitszimmer, in dem es außer einem hochmodernen Laptop nichts Persönliches von Daniel gab. Sie strich leicht darüber, dann klappte sie das ultraflache Teil auf. Prompt erschien das gestochen scharfe Bild eines Wasserfalls. Sonst nichts. Keine Icons, keine Taskleiste. Constanze runzelte die Stirn. Probeweise drückte sie eine Taste und schrak zusammen, als das Gerät sofort leise piepend ausging. Sie wartete einige Augenblicke mit angehaltenem Atem, ob noch etwas geschah, dann klappte sie das Gerät entmutigt wieder zu. Es wäre blanke Selbstüberschätzung gewesen, in den Laptop eines Mannes vorzudringen zu wollen, der Computer auf wundersame Weise wieder zum Laufen brachte.
Darüber, dass Daniel garantiert sofort merken würde, wenn sich jemand an dem Teil zu schaffen gemacht hatte, gab sie sich keinen Illusionen hin. Sie konnte nur hoffen, dass ihr fruchtloses Herumgetippe nicht schon Schaden angerichtet hatte. Nicht, dass das Gerät beim nächsten Start rot blinkend auf den Eindringling hinwies. Womöglich noch gleich mit ihrem aktuellen Passfoto und Fingerabdrücken.
Stopp. Constanze atmete tief durch. Jetzt gingen ihr langsam die Nerven durch. Das hier war kein James-Bond-Film, das hier war das reale Leben.
Die Standuhr im Erdgeschoss schlug melodisch die volle Stunde. Constanze presste eine Hand aufs Herz, dann blickte sie auf die Armbanduhr. Tatsächlich, sie war schon 45 Minuten im Haus. Hastig eilte sie die Treppe hinab und wollte gerade ihre Handtasche vom Tisch angeln, als ihr Blick die Kellertür streifte. Eine wirklich stabile Kellertür …
Nachdenklich ging sie darauf zu und legte die Hand um den Drehgriff. Sie versuchte es in beide Richtungen und fand den Zugang verschlossen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Sie hatte ihre Kellertür auch gesichert. Jeder halbwegs vernünftige Mensch tat das.
Als Constanze die Hand vom Knauf nahm, fiel ihr das seltsam anmutende Schloss auf. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie genauer hin. Ein Sicherheitsschloss, für einen Spezialschlüssel
Weitere Kostenlose Bücher