Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
schmerzhafte Szene wollte er ihr kein zweites Mal zumuten. Am besten, er gab Constanze einige Tage Zeit, bevor er einen neuen Versuch startete, die Dinge ins Lot zu bringen. Schließlich konnte sie nicht einfach abhauen. Und selbst wenn … Er hatte sie einmal gefunden, er würde es wieder. So leicht gab er nicht auf.
Silas sprang auf die Füße und machte sich auf den Weg ins Arbeitszimmer. Bereits im Gehen zog er den Ring vom Finger. Er musste dringend Einiges in die Wege leiten.
14.
Unter Schock
A m nächsten Morgen war Constanze selbst überrascht, wie wenig Mühe es ihr bereitete, nach außen ruhig zu wirken. Wahrscheinlich lag es an dem jahrelangen Training an Michaels Seite, dass sie so blind funktionieren konnte. Ein makabrer Gedanke. Ganz ließ sich dieses Verhalten wohl nie abstreifen. Susanne hätte einen Wutanfall bekommen, Gegenstände zerstört und ihren Schmerz hinausgeschrien. Sie hingegen reagierte wie gelähmt.
Constanze betrachtete Beate, die einige Meter entfernt das Schaufenster dekorierte. Vielleicht hatte das auch sein Gutes. Beate hatte sie zwar besorgt gemustert, sich dann aber mit der Erklärung zufriedengegeben, Constanze habe sich lediglich den Magen verdorben. Bis zur Rückkehr ihrer Freunde würde sie den Kummer also mit sich selbst ausmachen. Sie schaffte das. Das war früher an der Tagesordnung gewesen. Außerdem wollte sie Eliahs glückliche Ferientage nicht vorzeitig beenden.
Constanze bediente in gewohnter Freundlichkeit zwei Kunden und zog sich dann ins Lager zurück. Sie musste dringend die neu eingetroffene Ware erfassen und in den Bestand aufnehmen. Wenigstens würde diese Tätigkeit sie davon ablenken, ständig über Silas nachzudenken.
Eine Stunde später war sie immer noch nicht fertig. Wie sehr sie es auch versuchte, sie konnte sich nicht konzentrieren. Ständig unterliefen ihr Tippfehler. Wenn sie so weiterarbeitete, würde sie ihre ganze Buchhaltung durcheinanderbringen. Niedergeschlagen erklomm sie die Treppe zum Laden und suchte nach Beate.
»Du siehst immer noch blass um die Nase aus«, stellte diese sofort fest. »Warum machst du keinen Spaziergang?«
Constanze lag schon eine Ablehnung auf der Zunge, dann besann sie sich. Warum eigentlich nicht? In ihrem derzeitigen Zustand war sie ohnehin mehr eine Last denn eine Hilfe. Außerdem gingen ihr die gestrigen Ereignisse sowieso nicht aus dem Kopf.
Wenig später saß Constanze auf einer Parkbank und blickte in die gemächlichen Fluten des Rheins. Etwas, das sie nach ihrer Ankunft vor vier Jahren oft getan hatte. Sie hatte Stunden auf dieser Bank verbracht, hatte Kraft und Zuversicht geschöpft. Hier war sie sich stets darüber klar geworden, was sie als Nächstes anpacken würde. Jetzt saß sie wieder hier. Und wieder gab es einen Grund.
Unversehens krampfte sich ihr Herz zusammen. Die ganze Nacht hatte sie sich den Kopf zerbrochen, hatte über all das nachgedacht, was Tatsache war, und über Dinge, die sie nur vermuten konnte, hauptsächlich jedoch darüber, was Silas zu ihr gesagt hatte. Sie wusste immer noch nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Von welchem Punkt aus sie die Geschichte auch betrachtete, Silas war ein Killer. Er war die mit Abstand tödlichste Person, die ihr je begegnet war.
Beziehungsweise nicht begegnet … Sie hatte die letzten Wochen mit einem Phantom verbracht. Genau, wie der Bekannte von Frank gesagt hatte, Daniel Lander, der Mann, in den sie sich verliebt hatte, existierte nicht. Seine Unbekümmertheit, seine fürsorgliche Art, die Zielstrebigkeit, mit der er Teil ihres Lebens geworden war … alles Lügen.
Sie zog die Beine an und legte ihre Stirn auf die Knie. Oder vielleicht doch nicht? Genau das war die Frage, um die sich letztlich alles drehte. Hatte Silas sie wirklich belogen?
Selbst nach stundenlangem Grübeln fiel es ihr schwer, darauf mit Ja zu antworten. Denn es gab noch eine Frage, die ihr keine Ruhe ließ. Wenn alles reines Schauspiel gewesen war, warum entdeckte sie dann ständig Hinweise, die das Gegenteil bewiesen? Silas’ Auftrag, sie zu töten, stand außer Zweifel. Trotzdem hatte er beim Sturz von der Treppe dafür gesorgt, dass sie sich nicht verletzte. Er hatte ihr auch später nichts getan, ihr in keinster Weise Schmerzen zugefügt – nicht einmal, als sie mit ihm um ihre Freiheit gekämpft hatte. Und dann war da noch der gewichtigste Punkt überhaupt. Sie lebte. Er hatte seinen Auftrag nicht ausgeführt. Egal, zu welchem Ergebnis
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