Wiederkehr des Bosen
allmählich schaffte sie es, ihren Blick auf die Mädchen zu heften. Sie ließ die alte Plastiktüte mit den Wäscheklammern und das verknitterte Flanellhemd fallen, das sie eben aufhängen wollte. Ihre Augen waren bis auf schmale Schlitze verschwollen und blutunterlaufen. Ungläubig sah sie von Alex zu Cam und wieder zurück. »Ich seh Alex, und auch noch doppelt!«, brüllte sie mit heiserer, männlich-rauer Stimme. »Und sie hat sogar verschiedene Kleider an! Evan, hilf mir! Komm schnell!«
Mrs Fretts schwankte wie ein Schilfrohr im Wind, tastete nach dem wackeligen Verandageländer und stützte sich schwer darauf. Plötzlich wirkte sie sehr müde. Sie ließ sich auf die oberste Stufe der brüchigen Holztreppe gleiten, die von der Veranda zum »Garten« führte. Alex stieg schnell die vier Stufen zur Veranda hinauf und beugte sich über Mrs Fretts. »Tut mir Leid!«, sagte sie. »Echt, Mrs Fretts, wir wollten Sie nicht erschrecken. Ich bin's doch nur, Alex. Und das ist meine Schwester Camryn. Sie sehen mich nicht doppelt, Mrs Fretts. Wir sind Zwillinge.« Sie packte Evans Mutter am Oberarm und wollte ihr wieder auf die Beine helfen, aber die Frau schlug nach Alex' Hand und stimmte ein ohrenbetäubendes Kreischen an.
Cam war nahe daran, selbst auszurasten. In Panik und Abscheu schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen.
Plötzlich flog die Haustür auf und Evan tauchte auf. Er schien vor Wut zu kochen. Mit zwei Schritten stand er neben Alex und hielt ihr die Mündung eines Gewehrs an die Schläfe. »Was ist hier los? Was machst du mit meiner Mama?«
Alex blickte auf. »Evan - ich bin's, Alex. Und jetzt nimm das verdammte Gewehr weg!«
Cam nahm die Hände von den Augen. Sie sah einen Jungen, der ihrer Schwester ein Gewehr an die Schläfe presste. Er hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem lustigen lockeren Jungen, dem sie im Sommer vor über einem Jahr begegnet war. Dieser Evan hier keuchte und schien vor Wut zu rasen - das war der Junge, den sie in ihrer Vision gesehen hatte!
Aber jetzt stand er auf der Veranda, und das war jedenfalls nicht der Ort, der ihr in ihrer Vision erschienen war. Diese Szene hier war klar und eindeutig, hier gab es keine seltsamen, schattenähnlichen Gestalten, die in ihrer Vorstellung hinter ihm aufgetaucht waren. Cams Augen wurden weit, als sie das Gewehr sah. Fast automatisch fokussierte sich ihr Blick auf die Mündung -ziemlich billiges Metall, wie sie sofort erkannte. Aluminium oder Blech. Dürfte ziemlich leicht zu erhitzen sein, sogar in dieser Affenkälte. Sie starrte die Gewehrmündung an, die plötzlich rot und dann weiß aufglühte. Das Metall begann zu schmelzen und der Gewehrlauf bog sich nach unten. Cam merkte überhaupt nicht, dass Evan eine Spielzeugwaffe in der Hand hielt.
Wieder flog die Tür krachend auf, und ein kleiner Junge stürzte heraus, gefolgt von einem acht-oder neunjährigen Mädchen. »Gib mein Gewehr her!«, brüllte der Junge Evan an.
»Nicky, geh sofort ins Haus zurück!«, schimpfte das Mädchen.
Beide sahen gleichzeitig den verbogenen Gewehrlauf und schnappten nach Luft.
»Alex?«, rief Evan erstaunt, der inzwischen wieder zur Besinnung gekommen war. Er betrachtete den verbogenen Gewehrlauf und brach in schallendes Gelächter aus. »Alex Fielding!«, keuchte er lachend. Alex sprang auf, boxte Evans Oberarm und wies auf Cam. »Das war nicht ich, sondern meine Schwester. Du erinnerst dich doch noch an meine Doppelgängerin, damals im Big-Sky-Park? Sie kann um Meilen besser hexen als ich, Mann.«
»Nur ein kleiner Trick«, sagte Cam verlegen. »Kenn ich noch vom Grundkurs über Spielzeuggewehrverbiegen. Ich hab nämlich einen Abschluss in Zauberei.«
»Und mit Auszeichnung bestanden, möchte ich wetten«, grinste Evan und gab seinem völlig verstörten kleinen Bruder das Gewehr zurück. »Das Gewehr war schon vorher kaputt«, versuchte er dem Kleinen weiszumachen. »Ich hab dir ja gesagt, dass es ein ziemlich billiges Zeug ist. Taugt nicht viel. Ich kaufe dir ein neues, aber dieses Mal ein besseres.« Seine Schwester half der Mutter auf die Beine und führte sie in das Haus zurück. Der kleine Junge rannte laut weinend hinterher. Evan betrachtete Alex kopfschüttelnd, aber mit glücklichem Grinsen im Gesicht. »Hey, Kumpel. Wie läuft's denn so?«, fragte sie. Alex' Stimme war jetzt leiser, vorsichtiger. Die dichten, wilden, blond gefärbten Zotteln, die Alex immer so gut gefallen hatten, waren verschwunden. Evan hatte sein Haar so kurz
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