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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sei, den sein Vater in Hannesford Court gekannt habe? Falls ja, würde er gern mit ihm über diesen letzten Brief sprechen. Ob Captain Masters ihm vielleicht erklären könne, was sein Vater gemeint hatte? Es sei nur eine Kleinigkeit, aber wichtig für einen Sohn, der um seinen Vater trauerte. Wenn er eine Erklärung fand, könne er womöglich leichter Abschied nehmen …
    Der Brief selbst war in Deutsch verfasst, einer Sprache, die Freddie Masters gut beherrschte. (»Zu viel Goethe in der Jugend«,erklärte er leichthin, als er meine Überraschung bemerkte.) Er hatte vor allem Fragen an den Sohn enthalten, dazu Beschreibungen verschiedener englischer Kirchen und einen Überblick über die Gäste, die sich in Hannesfort Court versammelt hatten.
    »Er hat ziemlich nett über dich geschrieben, alter Junge«, sagte Masters lächelnd. »Und mir gegenüber war er wirklich anständig. Er schrieb, vermutlich sei ich kein so großer Trottel, wie alle glaubten, was ja auch eine Art Kompliment ist. Und dann kam der Absatz, der Schmidt junior solches Kopfzerbrechen bereitete. Ich machte mir damals ein paar Notizen und schrieb sie danach ins Reine. Ich glaube, das Wesentliche habe ich hier.«
    Er holte ein Blatt Papier aus der Jackentasche. Die Handschrift war schräg und hastig.

    Gespr. m. Johann Schmidt , Köln, 12. Feb. 1919
    SW Afrika 1908. Hamburg 1914. Verwundet Chemin des Dames 1917

    Ende Brief von Prof. S. Schmidt, Hannesford Crt., Juni 1914

    27. Juni: zwei Tage, seit ich meine letzten Bemerkungen niederschrieb, und ich schreibe heute in einem Zustand großer Unruhe. Etwas Furchtbares ist hier geschehen. Mehr kann ich nicht sagen. Ich bin tief erschüttert. Erschüttert und schockiert. Ein Verbrechen. Eine schreckliche Sache. Ich bin mir nicht sicher, wie ich verfahren oder wem ich mich anvertrauen soll. Aber ich muss etwas unternehmen. Mein lieber Johann, ich wiederhole, ich bin schwer erschüttert. So viel für heute, ich schreibe bald mehr.«
    Ich schaute von dem Blatt auf. »Und das war alles?«
    Masters nickte. »Ja. Nicht gerade viel, was? Darum wollte ich dich fragen, ob du irgendwie Licht in die Sache bringen kannst. Diese Sätze wurden drei Tage vor dem Rosenball geschrieben. Drei Tage, bevor der alte Mann starb.«
    Doch ich konnte nur in aufrichtiger Verwunderung den Kopf schütteln. »Etwas Furchtbares? Ich habe keine Ahnung. Wirklich nicht. Natürlich ging damals alles Mögliche vor. Auch Indiskretionen, kein Zweifel. Aber gewiss nichts, was der Professor als Verbrechen betrachtet hätte.«
    Ich hielt inne, als mir aufs Neue bewusst wurde, wie fern das alles schien. Es war nur fünf Jahre her und doch verschwommen wie längst vergangene Kindertage.
    »Ich muss schon sagen, es behagt mir nicht, dass etwas Unappetitliches vor unseren Augen passiert sein soll.«
    »Bist du sicher, dass er an ein tatsächliches Verbrechen dachte? Oder vielleicht an etwas, das er einfach nur schockierend fand?«
    »Du meinst, jemand hat beim Kartenspiel betrogen oder einen Scheck platzen lassen? Daran habe ich auch schon gedacht.« Masters überflog noch einmal die Notizen. »Aber dafür scheint es mir ein bisschen extrem, oder nicht? Es wäre eine ziemliche Überreaktion.«
    Ich zögerte. »Ein Mann, der aus dem Schlafzimmer einer Frau auftaucht, die nicht seine eigene ist? Ich möchte behaupten, dies könnte er durchaus gesehen haben.«
    Masters nickte. »Er könnte alle möglichen Dinge gesehen haben, die ihm skandalös, unehrenhaft oder moralisch zweifelhaft erschienen. Aber furchtbar? Das klingt nicht, als hätte man ihm den Portwein von der falschen Seite gereicht. Und falls du glaubst, es könnte an meinem miesen Deutsch liegen, sage ich gleich dazu, dass Schmidt junior ebenfalls den Eindruck hatte, sein Vater habe etwas Kriminelles gemeint und nicht nur einen gesellschaftlichen Fauxpas.«
    »Was hast du ihm gesagt?«
    Masters hob sein Whiskyglas und ließ die Flüssigkeit sanft darin kreisen. Der Schein des Feuers verwandelte sie in dunkles Gold.
    »Ich habe gesagt, ich hätte keine Ahnung, worauf sich sein Vater beziehe, und ich sei mir keiner schockierenden Handlungen bewusst, ob nun krimineller oder sonstiger Natur, die in jenem Sommer in Hannesford begangen wurden. Allerdings habe ich ihm auch gesagt, dass ich dich danach fragen würde, nur für den Fall, dass mir etwas entgangen sei.«
    »Mich? Wieso mich?« Es überraschte mich, dass Freddie Masters ausgerechnet an mich gedacht hatte.
    »Weil mir kein anderer

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