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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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junge Harry hat auf jeden Fall gute Nerven …«
    Aber als die Nachricht von Harrys Tod bestätigt wurde, sprach natürlich niemand mehr davon, den Nachttopf herunterzunehmen. Er war kein geschmackloser, betrunkener Jux mehr, sondern ein dauerhaftes Denkmal für Harry Stansburys Wagemut, der Vorbote der selbstlosen Entschlossenheit, mit der er dem teutonischen Angreifer die Stirn geboten hatte.
    »Was für eine wunderbare Geschichte!«, rief Lucy Flinders mit funkelnden Augen. »Ich wünsche mir so, ich wäre damals dabei gewesen!«
    Margot und ich schauten einander flüchtig an, doch sie lächelte nur und machte Lucy ein Kompliment wegen ihres Kleides. Als die jüngere Frau schließlich davonschlenderte, ergriff Margot mich am Arm.
    »Komm mit«, flüsterte sie, »Im Arbeitszimmer brennt ein Feuer. Lassen wir den Haufen mal eine Weile allein.«
    Nach dem Lärm in der Großen Halle war es im Arbeitszimmer sehr still. Die Vorhänge waren geschlossen, es mutete warm und einladend an.
    »Also wirklich!«, sprudelte Margot los, sobald wir die Tür geschlossen hatten. »Tut mir leid, dass ich dich so mitgeschleppt habe, aber ich musste einfach da raus. Dieses dumme Mädchen! Ich wünsche mir so, ich wäre damals dabei gewesen! Man könnte glauben, Harry und Julian wären schon hundert Jahre tot. Als ob sie zu den toten Baronen in der Gruft gehören! Sie redet wie eine Tagesausflüglerin am ersten Mai.«
    Sie warf den Kopf zurück, und ich bemerkte ihren sprühenden Blick. Zorn hatte Margot immer gut gestanden.
    »Nein, ehrlich, Tom. Das ist doch die Hölle, oder?« Sie bot mir eine Zigarette an. »Ich meine, wir sitzen hier alle und tun, als hätte sich nichts verändert. Wie kannst du das ertragen?«
    Sie ließ sich auf ein Sofa fallen und deutete neben sich. Es war ein kleines Sofa. Früher hätte mich die Aufforderung mit Begeisterung erfüllt.
    »Ich habe schon Schlimmeres erlebt«, murmelte ich und setzte mich stattdessen auf die Armlehne des Sessels gegenüber. Als ich die Worte aussprach, wurde mir klar, dass sie wie ein Vorwurf klangen.
    »Natürlich. Entschuldige.« Sie schaute zum Kamin. »Ich weiß, es ist albern, wenn ich mich beklage. Du musst mich für ein verwöhntes kleines Mädchen halten.«
    Stimmte das? Früher hatte ich das durchaus gedacht. Aber es hatte nie gereicht, um den Zauber zu brechen.
    »Ganz und gar nicht«, versicherte ich. »Und jeder weiß doch, dass du Julian verloren hast.«
    »Ja, natürlich.« Sie sagte es mit ausdrucksloser Stimme und stand auf, um das Feuer zu schüren. »Lass uns nicht mehr darüber sprechen. Ich eigne mich nicht als Heilige, und wenn du mir etwas anderes weismachen willst, werde ich nur wütend.«
    Sie schürte weiter das Feuer, bis es hell emporloderte. Ich nickte, da mir keine passende Antwort einfiel, und sah, wie die Hitze vom Kamin ihre Wangen leicht rötete.
    »Warum bist du so förmlich, Tom? Das ist heute nicht mehr üblich. Und wir kennen uns so lange. Wenn wir nicht zwanglos miteinander umgehen können, wer dann?«
    Ich wusste, es war ein Friedensangebot – Margot bot mir an, die Vergangenheit zu vergessen.
    »Verzeih mir. Ich bin es wohl nicht mehr gewöhnt, zwanglos mit Leuten umzugehen.« Es klang ein bisschen gestelzt.
    »Erzähl mal, wie es bei Reggie war.« Sie setzte sich wieder. »Wann kommt er nach Hause?«
    Wir blieben etwa zehn Minuten im Arbeitszimmer, sprachen erst über ihren Bruder und dann, ungezwungener, über das Leben in Hannesford. Gelegentlich schaute ich vom Kamin zu Margot hinüber. Sie war unbestreitbar schön. Bemerkenswert schön. Was für ein Narr ich gewesen war, mich von Hannesford einfangen zu lassen. Ich hatte die Gefahr vom ersten Augenblick an erkannt und war dennoch immer wiederhergekommen. Ich hätte nach jenem ersten Sommer fortgehen müssen, und nie wieder hierher zurückkehren dürfen. Stattdessen waren all die Jahre im Sonnenschein von Hannesford dahingeplätschert. Ich hätte etwas erreichen können, wäre vielleicht ein richtiger Fotograf geworden, hätte etwas gelernt. Jetzt war ich dreißig und hatte nichts vorzuweisen. Nicht wegen Margot, sondern weil ich ein Narr gewesen war.
    Als wir in die Große Halle zurückkehrten, ging es immer noch laut und fröhlich zu. Ich hatte keinen Sinn mehr dafür. Sobald die Festlichkeiten in Hannesford vorbei waren, würde ich nach London abreisen.
    Das Diner an jenem Heiligabend war sonderbar und etwas gezwungen. Sir Robert, dessen politische Ansichten sich weitgehend auf

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