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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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seinen Abscheu gegenüber Lloyd George beschränkten, stimmte mit dem Waliser dennoch darin überein, man solle die Deutschen bezahlen lassen , ein Thema, über das er sich des Langen und Breiten ausließ. Es war eine Position, die bei Tisch große Zustimmung fand, wobei der Bankier Mapperley die Tatsache beklagte, dass man den Krieg nicht auf deutschem Boden ausgetragen habe, um sie wissen zu lassen, wie sich das anfühlt , und der junge Bill Stansbury einwarf, er hätte sich nur allzu gern bis nach Berlin durchgekämpft.
    Mir fiel auf, dass Freddie Masters sich heraushielt. Der Rachedurst, der in der britischen Öffentlichkeit so verbreitet war, stammte ganz sicher nicht von der kämpfenden Truppe. Wir hatten unseren Feinden in die Augen geblickt und nur uns selbst darin gesehen. In Köln hatte ich erlebt, wie meine Männer ihre Rationen mit deutschen Kindern teilten. Doch zu Hause gab es überall nur Hass, abscheulichen, würdelosen und erniedrigenden Hass. Ich spürte wieder die unsichtbare Distanz zwischen jenen, die gegangen, und jenen, die geblieben waren.
    Nur Violet Eccleston widersetzte sich der vorherrschenden Meinung und erklärte, Rache sei ein kurzsichtiger Luxus. Ein friedliches, zufriedenes Deutschland könne für das Britische Empire nur von Vorteil sein. Ich bewunderte ihren Mut, wusste aber, dass sie an diesem Abend auf verlorenem Posten stand. Es war, als erlebte ich eine Szene, die schon oft geprobt worden war und in der die Akteure längst ihre feste Rolle eingenommen hatten. Alles in allem war es kein besonders festliches Mahl.
    Doch nach dem Essen, als die Kaminfeuer loderten und die Kerzen am Weihnachtsbaum ihren Märchenzauber in der Großen Halle wirkten, besserte sich die Stimmung. Sir Robert zog sich früh zurück, und danach schien eine Last von den übrigen Gästen genommen. Es war nicht leicht, in seiner Anwesenheit fröhlich zu sein. Sein fortwährender, kaum verborgener Kummer war wie ein Vorwurf.
    Lady Stansbury hingegen bestand darauf, dass ihre Gäste sich amüsierten, und ihr unbeirrbarer Wunsch, Weihnachten in Hannesford so wie immer zu feiern, hatte etwas Bewundernswertes. Ein Sohn gefallen, ein weiterer verstümmelt, beide Töchter um ihre vorteilhafte Ehe gebracht – es schien unvorstellbar, dass die zarte, weltfremde Gastgeberin, die ich in Erinnerung hatte, eine solche Anhäufung von Kummer hatte überstehen können. Doch wenn ihr all das an diesem Weihnachtsabend auf der Seele lag, zeigte sie es nicht. Vergangen ist vergangen , schien ihre Haltung auszudrücken, als die Gäste sich im Salon an die Kartentische setzten oder zu einem Duett am Klavier überreden ließen. Es hatte den Anschein, als sei die Trauer ein Feind, dem sie entschlossen entgegentrat.
    Vielleicht war Freddie Masters derjenige, der am meisten zur Fröhlichkeit des Abends beitrug. Ich schaute einigermaßen neugierig zu, wie er auf Bitten seiner Gastgeberin schwungvoll und unbekümmert Klavier spielte. Er sang ein sentimentales Stück über Liebende, die sich in einem Getreidefeldküssen, seine Stimme war ziemlich gut. Ich konnte in seinem Vortrag keine Spur von Ironie entdecken. Und doch hatte auch Masters das Grauen gesehen. Hatte er alles auf eine Weise hinter sich gelassen, die ich nicht verstand? Oder hoffte er, es durch die Musik zu vergessen?
    Vielleicht spielte er auch nur, weil es ihm Spaß machte. Als Susan zu ihm ging und ihm etwas ins Ohr flüsterte, wechselte er mühelos zu einer Kantate von Bach.
    Ich blieb bis ungefähr elf Uhr auf, sah zu, wie Margot von einer Gruppe zur nächsten ging, und genoss die Wärme und das Geplauder um mich herum. Als ich mich schließlich zurückzog, führten mich meine Schritte instinktiv zur Tür meines alten Zimmers. Ich bemerkte den Fehler erst, als ich eintrat und feststellte, dass es völlig kahl war – das Bett abgezogen, die Fenster ohne Vorhänge, keinerlei Krimskrams, der dem Zimmer Identität verliehen hätte. Und doch wirkte es, obwohl es so leer war, viel kleiner als früher.
    Bevor ich zu meinem neuen Schlafzimmer ging, drückte ich die Klinke der Tür nebenan – der Tür zu Harrys Zimmer. Vielleicht erwartete ich dort etwas Ähnliches. Vielleicht wollte ich mich daran erinnern, dass Harry wirklich nicht mehr da war. Doch sein Zimmer war nicht leer geräumt worden. Im Licht, das aus dem Flur hereinfiel, sah alles aus wie früher, von den Fotos auf dem Kaminsims bis hin zu den alten Cricketschlägern, die achtlos hinter eine Kommode geworfen

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