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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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worden waren. Es war, als sei Harry nur kurz hinausgegangen, um sich das Gesicht zu waschen, und könnte jeden Augenblick zurückkommen.
    So sah es jedenfalls aus. Aber es fühlte sich nicht so an. Die Luft war zu still. Es fühlte sich an wie ein Schrein. Und war kalt wie eine Gruft.
    In jener Nacht schlief ich zunächst ganz gut, eingelullt von der Wärme und dem Punsch und dem guten Essen, sank ich in die Sicherheit des daunenweichen Bettes und ließ alle Gedankenhinter mir, bis ich in der Dunkelheit ruckartig aufwachte und mir sofort der Stille bewusst war, die mich umgab. Ich spürte, wie Panik in mir aufstieg, als ich mich für das Schrillen der Pfeife wappnete. Doch stattdessen schlug die Kirchturmuhr, sie klang leise und fern durch den Schnee. Drei Uhr. Die Realität setzte sich durch, und mein Körper entspannte sich allmählich. Ich zog die Decke enger um mich und wartete, bis sich mein Herzschlag beruhigt hatte. In der Nähe schrie eine Eule. Ich stellte mir vor, wie sie wachsam und mit braun geflecktem Gefieder im Wald von Hannesford saß. Noch auf Jahre hinaus sollten mir Eulen, Ziegenmelker und das unwirkliche Gebell der Füchse großen Trost bedeuten.
    Danach konnte ich nicht mehr schlafen. Ich lag da und dachte nach, nicht über Margot oder Susan oder den kalten, toten Harry, der irgendwo unter den froststarren Feldern Frankreichs lag. Stattdessen dachte ich an den Professor, der unter den Sternen gestorben war und mit dem Duft der Rosen in der Luft und dessen Wange noch immer von dem schrecklichen feigen Schlag gebrannt hatte. Er war in Anne Gregorys Armen gestorben. Sie hatte Tränen in den Augen gehabt, als sie sich über ihn beugte.
    Bis zu diesem Abend hatte ich nicht weiter an die Tränen gedacht. Ein Mann war gestorben. Natürlich gab es da Tränen. Doch Anne Gregory war Krankenschwester und hatte nicht geweint, als sie sich um den Professor kümmerte. Die Tränen waren schon da gewesen, bevor sie ihn zu Boden stürzen sah.
    Ich fragte mich benommen, was Anne Gregory an jenem Abend zum Weinen gebracht hatte.
    Irgendwie gelangte ich von dort aus in Gedanken wieder zu Reggie, der in einem Erdgeschosszimmer in Cullingford lag, die Geschichte seines Krieges in den ganzen Körper gebrannt. Reggie, der nie wieder an einem Wintermorgen auf die Jagd gehen würde.
    Ich lag da und rührte mich kaum, bis das Haus sich regte und der Himmel heller wurde und die Glocken in wilder Fröhlichkeit verkündeten, dass der Weihnachtsmorgen angebrochen war.

D as Jahr nach Toms Ankunft war mein glücklichstes in Hannesford. Ich erinnere mich an eine Zeit wohltuender Gewissheit, in der mein seltsames neues Leben einfacher und regelmäßiger wurde. Mein Selbstvertrauen wuchs, und ich erkannte allmählich, wie sehr auch ich dazu beitrug, dass in Hannesford Court alles seinen gewohnten Gang nahm. Lady Stansbury verließ sich auf mich und vertraute mir. Harry und Margot waren immer freundlich zu mir und akzeptierten mich als einen nützlichen und wertvollen Teil ihres Lebens. Ich kam zu dem Schluss, dass es die Schuld der Gäste und nicht meine war, wenn sie mich nicht wahrnahmen – ein blinder Fleck im Auge des Betrachters. Man kann wohl sagen, dass in diesem Jahr Hannesford mein Zuhause wurde.
    Irgendwann glaubte ich, dass Tom immer da sein und dafür sorgen würde, dass ich mich ungezwungen und eher wie ein Mensch als wie ein Schatten fühlte. Er genoss weiterhin großes Ansehen bei den Stansburys. Seine Gegenwart war immer angenehm, und Lady Stansbury war eine kluge Gastgeberin, die wusste, dass der Erfolg einer Hausparty nicht nur von den Hauptdarstellern abhing. Tom war geradeheraus und zuverlässig und fand immer die richtigen Worte.
    Auch ich verließ mich auf ihn. Ich wusste, es war absurd, doch ich empfand ihn als Verbündeten. Und es mag dumm klingen, aber wenn ich mich missachtet oder übergangen fühlte, musste er mich nur quer durchs Zimmer anlächeln, und es war wieder gut.
    Natürlich bemerkte ich, welche Wirkung Margot auf ihn ausübte. Es überraschte mich nicht. Wer neu nach Hannesford kam, war von ihr fasziniert, und jeder junge Mann war mehr oder weniger hingerissen. Ich hatte von Anfang an gesehen,wie Toms Blick auf ihr ruhte. Das war nicht ungewöhnlich, es ging fast allen so. Die meisten begriffen bald, dass Margot Stansbury unerreichbar für sie war, und ihre Leidenschaft erlosch daraufhin sehr schnell. Vielleicht waren sie zu beneiden. Einige verfielen ihr dauerhaft; manche hoffnungslos und

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