Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
vielleicht. Er wird wohl eine Weile brauchen, um sich einzugewöhnen. Wissen Sie noch, wie wohl er sich immer in Gesellschaft gefühlt hat, wie zwanglos? Er wirkt jetzt stiller, als käme ihm das alles noch fremd vor.«
»Ich nehme an, er hat furchtbare Dinge erlebt«, sagte Mrs Uttley mit stockendem Atem. »Ich würde ihn gern wiedersehen. Falls Sie ihn in der Kirche treffen, bitten Sie ihn doch, vorbeizukommen.«
Aber ich ging nicht in die Kirche, jedenfalls nicht sofort. Es war ein heller, klarer Morgen, zu schade, um ihn zu verschwenden. Hinter dem Pfarrhaus führte ein Fußweg zu einer Anhöhe hinter dem Dorf, auf der ich mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen konnte. Über Nacht war nur ein Hauch von Schnee gefallen, gerade genug, um die Felder weiß zu färben und das Dach der Kirche zu bedecken. Man konnte bequem spazieren gehen. Als ich dort stand, auf die Landschaft blickte und die Morgenfrische einatmete, konnte ich den Gesang in der Kirche hören. Irgendwo dort drinnen sang auch Tom.
Der freundliche, zuverlässige, normale Tom. Kaum zu glauben, dass er wirklich hier war. Der Mahlstrom hatte so viele verschlungen, doch Tom hatte überlebt. Es war ein Wunder, an das ich nie zu glauben gewagt hatte.
Ich wartete, bis das letzte Lied angestimmt wurde, und eilte hinunter in die Kirche. Als der Gottesdienst endete, saß ich brav in einer der hinteren Bänke, als hätte ich nicht eine Minute versäumt.
9
A m Sonntagmorgen tat ich, was man von mir erwartete, und ging in die Kirche. Anne war auch da, und ich freute mich, als ich danach mit ihr Mrs Uttley besuchen konnte. Der Sonntagmorgen verging in Hannesford immer langsam, da kam mir die Abwechslung gerade recht. Außerdem hoffte ich, mit Anne über das Notizbuch des Professors zu sprechen. Ich hatte es näher untersucht, doch was sie gesagt hatte, traf zu. Man hatte die Seiten, die sich auf die letzte Woche im Leben des Professors bezogen, absichtlich entfernt. Nicht der Inhalt des Notizbuchs war wichtig, sondern wo sie es gefunden hatte.
Die übrigen Seiten bewiesen, dass es eine Art Tagebuch gewesen war. Die Daten waren von Hand eingetragen und fein säuberlich unterstrichen. Der erste Teil jedes Eintrags war wissenschaftlicher Natur. Die englischen Namen der Schmetterlinge standen neben den wissenschaftlichen Termini, und ich vermutete, dass die Notizen als Rohmaterial für die Aufzeichnungen in der Bibliothek gedient hatten. Darauf folgten jeweils kurze Notizen zu den anderen Aktivitäten des Professors und seine Beobachtungen des Lebens in Hannesford. Man konnte leicht erkennen, wo die Seiten herausgerissen worden waren.
Vielleicht trieb mich der Gedanke daran um, während ich im Pfarrhaus war, denn Mrs Uttley schien in meiner Gegenwart keine Ruhe zu finden. Erst als ich mich zum Gehen anschickte,veränderte sich ihr Zustand. Sie sagte, sie müsse mir ein ganz bestimmtes Buch zeigen, und bat Anne, es aus dem Arbeitszimmer ihres Mannes zu holen. Sobald wir allein waren, wurde Mrs Uttley lebhafter.
»Verzeihen Sie mir, Tom, aber ich wollte unbedingt unter vier Augen mit Ihnen sprechen. Heute ist leider einer der Tage, an denen ich eine sehr zänkische alte Frau bin, die sich nur ungern pflegen lässt.«
Sie erhob sich ein wenig von ihrem Ruhebett und machte eine unwillige Handbewegung, als ich ihr helfen wollte.
»Anne hat mir von Ihrem Interesse an Professor Schmidt erzählt. Sie sagt, Sie sorgten sich wegen etwas Unerfreulichem, das er hier in Hannesford mit angesehen haben soll. Seit sie mir davon erzählt hat, muss ich daran denken. Es geht mir schon den ganzen Morgen nicht aus dem Kopf.«
»Etwas Unerfreuliches?«
Sie nickte. »Ich glaube nämlich zu wissen, worauf sich der Professor bezogen hat. Ich habe es nie erwähnt, auch nicht dem Pfarrer gegenüber, und wäre sehr erleichtert, mich Ihnen anzuvertrauen. Es hat mir lange auf der Seele gelegen.«
»Also ist wirklich etwas geschehen?«, fragte ich seltsam argwöhnisch. Irgendwie hoffte ich wohl immer noch, dass sich für alles eine harmlose Erklärung fände.
Mrs Uttley nickte. »Ich hatte keine Ahnung, dass der Professor auch davon wusste, aber nach dem, was Anne mir erzählt hat, ist dies wohl der Fall. Es war eine hässliche Geschichte.«
Sie hielt inne und verzog das Gesicht, als hätte sie Schmerzen.
»Tom, der Pfarrersfrau erzählen die Dorfbewohner manchmal Dinge, die sie dem Pfarrer im Traum nicht gestehen würden. Viele anständige Frauen haben sich mir im Laufe der Jahre
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