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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Dreck und Chaos schwebte. Doch im kalten Salon des Pfarrhauses sah das ganz anders aus. Hässlich . So hatte Mrs Uttley es genannt. Eine hässliche Geschichte.
    »Ich konnte nichts tun«, fuhr sie dort. »Julia blieb eisern. Sie würde lieber sterben, als dass darüber geredet würde. Sie flehte mich wieder und wieder an, nicht darüber zu sprechen, und ich gab ihr natürlich mein Wort.«
    Ich drückte noch einmal ihre Hand. »Aber Sie sprechen jetzt darüber.«
    Sie biss sich auf die Lippe, als hätte sie Schmerzen. »Nun, es kann Julia Woodward nicht mehr schaden, oder? Und ich habe die Vorstellung immer gehasst, dass sich eine Bestie als Gentleman tarnt.«
    Sie lächelte, als amüsierte sie sich über ihre eigene Torheit. »Ich gebe keine sehr rachsüchtige Furie ab, was? Und es erscheint so banal, wenn man bedenkt, was danach alles geschehen ist. Die ganzen jungen Männer, alle tot. Doch Unrecht ist immer noch Unrecht. Wir haben die Pflicht, uns daran zu erinnern. Genau das schulden wir den Männern, die nach drüben gegangen und gestorben sind und eigentlich etwas Besseres verdient hätten. Wir müssen weiterhin Recht von Unrecht unterscheiden.«
    Sie wandte sich ab und sah aus dem Fenster in den schneebestäubtenGarten. An der Kreuzung dahinter würden bald die Arbeiten am Kriegerdenkmal beginnen.
    Erst auf dem Heimweg fiel mir ein, dass ich nicht gefragt hatte, weshalb sie die Geschichte vor Anne geheim halten wollte.
    Am Nachmittag suchte Bill Stansbury einige Leute zum Kartenspielen. Es war Sonntag, das Wetter scheußlich, und er hatte kürzlich ein neues Spiel namens July Cup gelernt, das er unbedingt ausprobieren wollte. »Nicht für die Erwachsenen«, verkündete er. »Es kann ziemlich wild zugehen. Aber in der Stadt ist es der letzte Schrei, ganz ehrlich!«
    Der Vorschlag wurde begeistert aufgenommen. Denny Houghton und Lucy Flinders gierten förmlich nach Unterhaltung, und Margot sagte lachend, Sonntage seien tödlich, warum also nicht? Neil Maclean warnte alle, er sei ein katastrophaler Kartenspieler, aber jederzeit bereit, dazuzulernen. Freddie Masters ließ sich mühelos überreden, und Laura Finch-Taylors Lächeln verhieß, dass auch sie nichts gegen eine Partie einzuwenden hatte.
    Ich hingegen lehnte ab, worauf Bill ein wenig entrüstet reagierte. Er schien zunehmend enttäuscht von mir – vielleicht war ich nicht der ritterliche Krieger, für den er mich gehalten hatte. Früher hätte ich mich womöglich überreden lassen, doch Bill würde auch ohne mich seinen Spaß haben. Es gab Schlimmeres als einen langweiligen Nachmittag im Salon. Als sich alle am Kartentisch niedergelassen hatten, stahl ich mich leise aus dem Haus.
    Ich hatte die Kamera in der Dunkelkammer gelassen, doch an diesem Nachmittag musste ich oft an sie denken. Es war nicht mehr strahlend hell wie am Morgen, doch das Licht war gut, und ich schaute mich prüfend um. Irgendwann und irgendwie war mir mein Gefühl für Licht und Formen abhandengekommen. Ich war mit Überleben beschäftigt gewesen,mit dem nächsten Befehl, dem Wohl meiner Männer; mit der Kälte, mit Scharfschützen, mit Horchposten und Lücken im Stacheldraht. Der Friede danach war mir wie eine seltsam trostlose Landschaft erschienen. Er war in gewisser Hinsicht enttäuschend, und doch fragte ich mich, wie man ihn auf einem Streifen Film festhalten konnte.
    Zuerst ging ich zu den Bäumen hinüber, fühlte mich in der Stille des Waldes aber immer noch nicht ganz wohl. Daher wandte ich mich den Nebengebäuden und Stallungen zu, wo selbst am Sonntag eine tröstliche Geschäftigkeit herrschte.
    Hinter dem Haus entdeckte ich Spuren der Vernachlässigung, die mir nie zuvor aufgefallen waren. Hatte es sie schon immer gegeben? Oder war das Unkraut zwischen den Steinen emporgeschossen, während die Männer weg waren? Jedenfalls spiegelte der Ort meine Stimmung wider. Der Vorwurf, der aus den rostigen Regenrinnen und leeren Ställen sprach, erschien mir ehrlicher als alles, was ich im luxuriösen roten Speisezimmer von Hannesford erlebt hatte.
    Schließlich kletterte ich auf den Dachboden eines Stallgebäudes und sah unbemerkt hinunter. Ein junger Stallbursche fegte den Hof, er bewegte den Besen ein wenig unbeholfen, einen Ellbogen in die Höhe gereckt. Sein Gesicht war unter der Mütze verborgen, und er kehrte mir den Rücken zu. Die Gebäude rahmten ihn ein wie ein Gemälde. Mir gefiel, wie geduldig er fegte, wie der Schwung seines Rückens einen Kontrast zu dem erhobenen

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