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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Woran mag das liegen?«
    »Ich nehme an, du warst zu müde, um zu träumen.«
    »Vermutlich schon.« Er trank sein Glas aus und grinste. »Wenn man mitten in einem Albtraum steckt, braucht man nicht auch noch davon zu träumen. Jedenfalls könnte ich gut darauf verzichten, dass Narren wie Mapperley das alles vor dem Schlafengehen wieder aufs Tapet bringen …«
    Statt ebenfalls ins Bett zu gehen, holte ich den Schlüssel zur Dunkelkammer und ging bei Kerzenlicht an den stillen Schlafzimmern vorbei zu der schmalen Treppe, die ins obere Stockwerk führte. Hierher war ich nachts oft gekommen, wenn ich ein aufregendes Foto gemacht hatte und nicht abwarten konnte, es zu entwickeln. Einmal war ich Harry dabei über den Weg gelaufen, in einer jener heißen Nächte kurz vor dem Rosenball. Ich konnte nicht schlafen, weil ich an Margot und Julian Trevelyan denken musste. Jener Sommer war reich an hässlichen Gefühlen.
    Ich muss ihm in den frühen Morgenstunden begegnet sein, etwa eine Stunde vor der Dämmerung. Er kam mir auf der Treppe entgegen. Je höher man stieg, desto heißer wurde es im Haus. Aus seiner Tasche lugte eine ungerauchte Zigarre,und das Frackhemd stand am Hals offen. Er warf mir einen seltsamen Blick zu.
    »Rauchst du jetzt heimlich Zigarren, alter Junge?«, fragte er.
    »Konnte nicht schlafen«, erwiderte ich verlegen. »Ich arbeite da an etwas …«
    »Ah, alles Tarnung! Natürlich.«
    Harry hatte an seinem Hemdkragen gezupft, als wollte er mehr Luft hereinlassen. Je nach Beleuchtung war seine Ähnlichkeit mit Margot sehr groß. Sie hatten die gleichen Augen, die gleichen Wangenknochen, den gleichen großzügigen Mund. Harry sah sicherlich gut aus, doch nicht das machte ihn so attraktiv, sondern sein angeborenes, grenzenloses Selbstvertrauen. Darin lag sein ganzer Charme.
    »Es ist teuflisch heiß, was? Zu heiß zum Schlafen. Habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.«
    Er lächelte, wie er es immer tat, als belustigte ihn eigentlich etwas ganz anderes. Sonderbar, dieser Vorfall schien noch gar nicht so lange her zu sein.
    Als ich die Dunkelkammer erreichte, ließ sich der Schlüssel kaum drehen, als wäre er lange nicht benutzt worden. Der Flur hier oben war deutlich kälter als das Stockwerk darunter und erfüllt von jener leeren Stille, die vernachlässigten Orten zu eigen ist. Drinnen war die Luft völlig reglos, und meine Kerze brannte ohne jedes Flackern. Es roch muffig. Das Kerzenlicht reichte aus, um zu sehen, dass sich der Raum während meiner Abwesenheit kaum verändert hatte. Mich überkam ein flüchtiger Schwindel, als hätte es die vergangenen fünf Jahre nicht gegeben. Meine alte Kamera wartete in ihrer Lederhülle in einer Ecke, genau so, wie ich sie zurückgelassen hatte. Ich hatte sie absichtlich nicht mitgenommen, weil sie für mich untrennbar mit Hannesford verbunden war.
    Ich stellte die Kerze auf den Boden und kniete mich vor einen der Einbauschränke. Die hölzerne Scheuerleiste war loseund ließ sich so mühelos abnehmen, wie ich es in Erinnerung hatte. Aus dem Hohlraum dahinter holte ich eine Schachtel, die mit einem alten Gürtel verschlossen war. Mir kam der Gedanke, dass ich sie seit der Nacht, in der ich Harry auf der Treppe begegnet war, nicht mehr gesehen hatte. Aber hier drinnen war es zu kalt, um den Inhalt zu betrachten. Als ich die Tür abschloss, war mir die Kälte schon in die Knochen gedrungen, und meine Finger waren mit dunkelgrauem Staub verschmutzt.
    In meinem warmen Zimmer breitete ich die Fotos auf dem Bett aus. Es waren mehr, als ich gedacht hatte, Aufnahmen, an die ich mich gar nicht erinnerte – Porträts, Landschaften, Fotos von Hannesford aus jedem erdenklichen Winkel. Ich betrachtete sie nacheinander, ohne bestimmte Reihenfolge. Eine Aufnahme des Dorfes am frühen Morgen, Nebelschleier wie Rauch; kleine Jungen, die nackt im Teich unterhalb der Wassermühle schwammen; eine Gruppe lächelnder Golfspieler in Mützen und Tweed neben dem Daimler. Dann die Vorbereitungen für den Rosenball, Gärtner, die Hecken schnitten, und Mädchen, die die Stufen der Terrasse schrubbten. Pferde mit umwickelten Hufen, die die Rasenflächen glätteten, Männer bei der Feldarbeit. Gesichter grinsten mir zu, im Augenblick gefangen, sie lächelten, als würde sich der klare Himmel über ihnen nie verdunkeln.
    Ich spürte die Traurigkeit, die aus ihnen sprach. Harry Stansbury posierte in schickem Flanell. Oliver Eastwell betrachtete lächelnd einen winzigen Welpen. Julian Trevelyan

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