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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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anvertraut, und ich habe ihre Geheimnisse für mich behalten. Mein Mann ist in vielerlei Hinsicht weltfremd. Esmag vermessen klingen, aber mir erschien es besser, wenn sich ein junges Mädchen wenigstens mir anvertraute.«
    Ich drückte ihre Hand, und sie lächelte schwach.
    »Anne hat mir gesagt, Sie wären bei Mrs Woodward gewesen. Also wissen Sie von den Tagen, in denen sich ihre Tochter in ihrem Zimmer verkrochen hat. Aber da war noch etwas anderes. Etwas, das ich Anne nicht sagen wollte.«
    Sie schloss die Augen und schluckte mühsam, doch als sie sie öffnete, blickten sie klar und selbstsicher.
    »Julia Woodward war ein unglückliches Mädchen. Nicht sehr robust. Ihr Vater wollte, dass sie Gouvernante wurde, während ihre Mutter die Vorstellung verabscheute, sie könne überhaupt irgendeine Bildung erwerben. Vermutlich hätte sie ihre Tochter lieber als Spülhilfe gesehen, nur damit sie sich keine Flausen in den Kopf setzte. Beide schikanierten Julia auf ihre Weise, der Vater mit Gebrüll, die Mutter mit Schweigen. Letztlich ging sie zur Schule und kehrte als junge Dame zurück, wirkte aber einsamer denn je. Sie war ein nervöses junges Ding und verlor leicht die Fassung. Sie war nicht zur Gouvernante geschaffen.«
    Mrs Uttley hielt inne. Noch immer hörte man nichts von Anne.
    »Julia Woodward kam in dem Sommer, nachdem sie die Schule beendet hatte, recht häufig zu uns. Lady Stansbury hatte sie zum Rosenball eingeladen, und das machte sie schrecklich nervös. Sie wollte mit ihrem Cousin hingehen, einem Leutnant in dem Regiment, in das auch Harry eintreten wollte. Sie saß zitternd hier, war völlig aufgelöst. Daher überraschte es mich, als sie ein paar Tage lang gar nicht erschien, und ich stattete ihr einen Besuch ab. Genauer gesagt, ging ich sogar zwei Tage in Folge hin, und jedes Mal sagte ihre Mutter, Julia sei krank und könne keinen Besuch empfangen.«
    »Das stimmt«, sagte ich. »So hat Mrs Woodward es mir geschildert.«
    »Aber als ich das zweite Mal hinkam, erhaschte ich einen Blick auf Julia, die am Fenster ihres Zimmers stand. Ich wollte gerade gehen und war nur wenige Meter entfernt, daher konnte ich sie deutlich erkennen. Sie war im Gesicht verletzt, Tom. Schlimme blaue Flecken. Als hätte sie jemand geschlagen.«
    Ich hielt noch die Hand der alten Dame und spürte, wie sich ihre Finger leicht verkrampften.
    »Was haben Sie unternommen?«, fragte ich sanft.
    »Was hätte ich denn unternehmen können? Julia Woodward war offenbar nicht zum Rosenball gegangen, und ich wollte schon Alarm schlagen, weil ich dachte, ihr Vater hätte sie mit den Fäusten traktiert. Doch am nächsten Tag erhielt ich eine Nachricht von Julia, in der sie mich bat, zu ihr zu kommen, wenn ihre Mutter außer Haus war. Die Schwellung war etwas zurückgegangen, doch sie sah immer noch schrecklich aus.«
    »Hat sie Ihnen erzählt, was passiert war?«
    Mrs Uttley seufzte. »Nein, sie bat mich lediglich, es niemandem zu sagen. Ich erwiderte, wenn ihr Vater sie geschlagen hätte, würde der Pfarrer ein ernstes Wort mit ihm reden. Das stritt sie jedoch ab, und ich musste versprechen, meinem Mann nichts davon zu sagen. Es war ihr gelungen, die Verletzung vor ihrem Vater zu verbergen, indem sie sich in ihrem Zimmer verkroch. Dennoch erklärte ich in aller Deutlichkeit, dass sich jemand äußerst brutal verhalten und ich die Absicht hätte, den Schuldigen zu ermitteln. Daraufhin brach sie zusammen. Sie wollte noch immer nicht verraten, was genau geschehen war, doch ich konnte heraushören, dass jemand aus Hannesford dafür verantwortlich war. Es sei ein Wutanfall gewesen. Sie habe ihn provoziert. Es sei ihre Schuld.«
    »Aber das ist ungeheuerlich!«, rief ich. »Sind Sie ganz sicher? Könnte es kein Missverständnis sein?«
    »Leider nicht, Tom. Sie hat es klar und deutlich gesagt. Und ich habe es ihr sofort geglaubt. Ich weiß noch, wie sie gezittert hat, als sie es mir erzählte.«
    »Meinen Sie wirklich, sie hat jemanden aus dem Haus gemeint? Keinen Mann aus dem Dorf?«
    Die alte Dame schüttelte den Kopf. »Es war ein Gentleman, wie sie sagte. Sie war furchtbar durcheinander.«
    »Aber wer? Hat sie Ihnen überhaupt keinen Hinweis gegeben?«
    »Sie wollte nicht einmal erzählen, wie es dazu gekommen war. Ein Missverständnis, das sei alles.«
    Drüben in Frankreich, bevor ich mich in den Kämpfen verlor, hatte ich manchmal an Hannesford gedacht. An das solide, unveränderliche Hannesford, eine Vision, die hoch über dem ganzen

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