Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schreiber
Vom Netzwerk:
die zu Erichs Anzug passte und der ihre Figur perfekt betonte, als wäre sie ihr auf den Leib geschneidert worden und hätte seitdem darauf gewartet, dass sie hierher zurückkehrte.
    Sie und Erich waren beim Training wie zwei Menschen aufeinander losgegangen, die den Körper des anderen auf intimste Weise kannten, hatten einander herumgerissen, ausgehebelt und mit einem Maß an Vertrautheit, beinahe Lust, angepackt, das meine Vermutungen hinsichtlich ihrer Beziehung durchaus bestätigte. Ich hatte mich dabei weniger wie ein unschuldiger Zuschauer gefühlt, sondern eher wie ein Voyeur.
    Nachdem sie fertig waren, wanderte mein Blick über die anderen Säcke und das Trainingsmaterial und schließlich wieder zu Erich. Dann sprach ich die Worte aus, von denen ich gedacht hätte, dass ich sie nie aussprechen würde.
    »Bring mir bei, wie man kämpft.«
    Erich sah mich amüsiert aus dem Augenwinkel an. »Lieber nicht.«
    »Lieber doch.« Ich erhob mich. »Komm schon. Jetzt gleich. Auf.«
    »Perry, ich habe Zusane drei Jahre trainiert.«
    »Sie heißt Gobi«, sagte ich.
    »Ganz egal. Allein das Konditionstraining dauert ewig.«
    »Ach ja?« Schon jetzt war der logischen Hälfte meines Gehirns klar, dass er natürlich recht hatte. Was ich wollte, war so etwas wie diese Szene in Matrix , in der Neo einen Hubschrauber fliegen muss und sich die nötigen Kenntnisse einfach direkt ins Gehirn einstöpselt. »Das werden wir ja sehen.«
    »Warum willst du auf einmal kämpfen lernen?«
    »Selbstverteidigung.«
    »Gegen …?«
    »Gegen … jeden.«
    Erich musterte mich von oben bis unten, und so sehr mich das auch irritierte, ich hatte den Eindruck, dass das, was er sah, meinen derzeitigen Zustand wahrscheinlich sehr genau wiedergab: Ich war verzweifelt, spielte absolut in der falschen Liga, war das emotionale Äquivalent eines nackten Maulwurfs.
    »Du musst dir wegen ihr keine Sorgen machen.«
    »Ach, echt nicht?«, fragte ich. Hatte er auch nur einen blassen Schimmer davon, was ich wegen ihr bis jetzt alles durchgemacht hatte?
    Erich schüttelte den Kopf. »Du kannst dich immer auf sie verlassen. Sag einfach As tave myliu zu ihr.«
    »Was heißt das?«
    Er lächelte wieder, ganz schwach. »Nur so ein litauischer Spruch.«
    »Perry?« Gobi war zu mir herübergekommen, mit feuchten Haaren und dem nassem Judoanzug, der sich, wie mir nicht entging, eng an sie schmiegte. Sie streckte mir die Hand entgegen. »Willst du spielen?«
    *
    Wir fingen mit Judo an. Und damit hörte es auch schon auf. Gobi sagte, sie wolle mir einen Zweihand-Schultergrundwurf zeigen, ganz einfach. Dann schob sie mir den Ellbogen unter den Arm, und ehe ich wusste, wie mir geschah, lag ich auch schon auf dem Boden und mein Rückgrat fühlte sich an wie ein kräftig durchgeschütteltes Puzzle.
    »Perry?« Ihr Gesicht und das von Erich tauchten über mir auf. Keiner von beiden sah besonders besorgt aus. »Alles in Ordnung?«
    Ich wollte »nein« sagen, aber um zu reden hätte ich atmen müssen, und das wollte mir noch nicht so recht gelingen. Kurz darauf hörte ich Gobi etwas von »duschen« sagen und stellte erleichtert fest, dass es mir ohne Hilfe gelang, mich langsam aufzurichten.
    *
    »Es geht ihr nicht gut«, sagte Erich, als wir beide zur Wohnung zurückgingen.
    »Ihr?«, brachte ich mühsam heraus und versuchte, das Gefühl zu verdrängen, als hätte mir jemand das Brustbein aufgerissen und ohne Betäubung eine Operation am offenen Herzen ausgeführt. »Und was ist mit mir?«
    »Sie hat mir gesagt, dass sie bei ihrem Auftrag in Venedig versagt hat.«
    »Armitage? Glauben Sie mir, sie hat kein bisschen versagt.«
    »Das erste Ziel«, sagte Erich. »Der Mann, der als Priester verkleidet war. So was ist ihr vorher noch nie passiert.«
    »Ja, kann ich mir denken.« Ich dachte an den Glatzkopf in dem Reisekoffer und wie er im Kanal die Augen aufgemacht hatte. Und ich dachte an Gobi, wie sie im Trainingsraum herumgewirbelt war. »Aber jetzt scheint sie doch wieder in Ordnung zu sein.«
    »Die Corticosteroide, die ich ihr gegeben habe, haben die Blutung gestoppt und ihre Kraft zeitweilig wiederhergestellt, aber …« Erich schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Arzt. Mein medizinisches Können beschränkt sich auf die Behandlung von Wunden im Einsatz, wie ich es bei der Schweizer Armee gelernt habe, und was ich in den Jahren hier so aufgeschnappt habe. Aber seit ich sie zuletzt gesehen habe, hat sich ihr Zustand erheblich verschlechtert.«
    »Meinen Sie ihre

Weitere Kostenlose Bücher