Wiedersehen in Harry's Bar
Epilepsie?«
Er starrte mich an. »Hat sie dir das erzählt? Dass sie unter Epilepsie leidet?«
»Ja. Schläfenlappenepilepsie. Wie van Gogh. Warum?«
Erich antwortete nicht.
»Soll das heißen, dass es nicht stimmt?«
»Epilepsie verursacht normalerweise keine inneren Blutungen. Und auch keine so intensiven und langen Stadien von Demenz.«
»Wann hatte sie denn Demenz?«
»Als du sie hierhergebracht hast. Sie war völlig orientierungslos. Sie hat mir erzählt, du seist ihr letztes Ziel. Siehat geschworen, dass sie den Auftrag hat, dich umzubringen.«
» Was? «
Erich schüttelte den Kopf. »Wenn du sie jetzt danach fragst, behauptet sie, dass sie sich nicht daran erinnert. Aber gestern …«
»Wenn es keine Epilepsie ist«, sagte ich, »wieso verhält sie sich dann so?«
»Hat sie dir jemals erzählt, woher die Narbe an ihrem Hals stammt?«
»Nein«, sagte ich und ging hinter ihm her. »Warum?«
Erich ging durchs Wohnzimmer, in dem die Computer immer noch an Paulas iPad hingen, und fing an, etwas zu tippen, ohne mich anzusehen.
»Moment mal, was ist da passiert?«
»Was ist mit wem passiert?«, fragte Gobi hinter mir. Ich drehte mich um und sah, dass sie immer noch ihren judogi anhatte und an einem großen Glas Wasser nippte. Ihr Blick wanderte zu Erich und wieder zu mir. Als keiner von uns antwortete, stellte sie das Glas ab, kam noch einen Schritt auf uns zu und wiederholte dieselbe Frage mit ruhiger Eindringlichkeit. »Worüber habt ihr gerade geredet?«
Dann hörte man es wieder tippen, und eine Stimme von der anderen Seite des Zimmers, von dort, wo die Bildschirme mit Paulas iPad verbunden waren, sagte etwas.
Es war die Stimme meines Vaters.
29
»Family Man«
– Hall & Oates
»Ich weiß nicht, wo sie hingegangen ist«, sagte Dad über die Lautsprecher. »Ich weiß nicht, wann sie wiederkommt.«
Ich sah über Erichs Schulter auf den Monitor. Darauf waren Mom, Dad und Annie zu sehen, die offensichtlich immer noch in demselben schmutzig weißen Raum hockten, in dem sie schon zuvor fotografiert worden waren. Keiner von ihnen schaute in die Kamera. Annie schlief, und Mom hielt ihren Oberkörper in den Armen, wiegte sie wie ein Baby. Wenn man es nicht besser wüsste, hätte man sie für drei gestrandete Reisende an einem Flughafenterminal halten können, die auf besseres Wetter warteten. Dad hatte die Hemdärmel hochgekrempelt. Die Zeitung, die er zuvor in der Hand gehalten hatte, lag zerknittert neben ihm sowie ein paar leere Teller und Verpackungen und Wasserflaschen. Was mich ein wenig erleichterte. Zumindest gab man ihnen zu essen und zu trinken.
Mom sah Dad an. »Willst du versuchen, mit ihr zu reden?«, fragte sie leise, als wollte sie Annie nicht wecken, aber das Mikrofon erfasste ihre Stimme ganz deutlich.
»Ich weiß nicht … Was soll ich sagen?«, erwiderte Dad.
»Früher scheinst du damit keine Probleme gehabt zu haben.«
Er sah sie an. »Im Ernst, Julie? Willst du jetzt wirklich damit anfangen?«
»Ich hätte es wissen müssen«, sagte Mom tonlos, starrte vor sich auf den Boden und rieb sich die Schläfen, eine Geste, die ich mit einer ganz besonderen Situation in ihrer Ehe vor zwei Jahren in Verbindung brachte. »Ich. Hätte. Es. Wissen. Müssen.«
»Ach, als wärst du selbst in letzter Zeit eine Heilige gewesen«, sagte Dad laut genug, dass Annie sich in Moms Schoß ein wenig bewegte.
»Sei leise. Was ist bloß los mit dir?«
Dad sagte überhaupt nichts, was Mom nur noch wütender zu machen schien.
»Fang bloß nicht damit an«, sagte sie. »Das hat überhaupt nichts damit zu tun.«
Mein Dad fuhr sich mit den Fingern durch die wenigen verbliebenen Haare. »Julie, wir sind in einem Raum eingesperrt, ohne zu wissen, wer dafür verantwortlich ist oder wann sie wiederkommen. Es ist mir verdammt noch mal egal, mit welchem alten Freund du auf Facebook flirtest oder nicht.«
»Moment mal«, sagte ich zu Erich. »Ist das live?«
»Nein«, antwortete er. »Es ist eine Quicktime-Datei. Ein Attachment. Ist erst vor ein paar Minuten durch das iPad gekommen.«
»Kannst du rauskriegen, wo sie herkommt?«
»Wir haben noch mehr.« Erich klickte wieder auf PLAY.
Ich wünschte mir sofort, er hätte es nicht getan.
»Die Freundin deines Sohnes«, sagte Mom gerade. »Eins würde ich gern wissen, Phil, nur so aus reiner Neugier: Kennst du überhaupt keine Grenzen? Geht es immer noch tiefer hinab mit dir?«
Dad holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Vielleichtlag es am
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