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Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schreiber
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auf ihre Uhr.
    »Wie hast du mich gefunden?« Ich schaute auf das Handy, das sie in meine Tasche gesteckt hatte. »Hat dieses Ding ein GPS-Ortungssystem oder was?«
    Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, als hätte sie mich nicht gehört.
    »Willst du mir nicht antworten?«
    Sie rührte sich nicht. Die Reifen des Peugeot schmiegten sich an den Asphalt, sein kräftiger Motor machte außer dem leisen und gleichmäßigen Surren präziser Ingenieurskunst kein Geräusch. Meine Hände umschlossen das Lenkrad, und ich schaute nach, ob wir beide uns auch angeschnallt hatten. Als ich um die nächste Kurve kam, hielt ich am Straßenrand an und trat so energisch auf die Bremse, dass sie wieder gerade saß und mich wütend anstarrte. Ihr Gesicht war straff und angespannt, und mit diesem Blick hätte sie Roheisen zum Schmelzen bringen können.
    »Das Arschloch dort in dem Restaurant hat mir alles erzählt«,sagte ich. »Ich weiß jetzt von …« Aber so aufgebracht ich auch war, ich brachte es einfach nicht fertig, die Worte deinem Gehirntumor auszusprechen. »Ich weiß, was mit dir los ist.«
    Gobi starrte mich immer noch finster an. Ihr Schweigen war wie ein Abgrund, so wie kein anderes Schweigen auf der ganzen Welt. Es schien nach innen zu kollabieren, alle anderen Geräusche einzusaugen, wie das akustische Gegenstück zu einem Schwarzen Loch. Wir saßen ein paar Sekunden einfach nur da und sahen uns an wie die beiden letzten Menschen in der Schweiz.
    »Halb so schlimm«, murmelte sie.
    »Quatsch.«
    »Ist Epilepsie.«
    » Quatsch! «
    »Wer erzählt dir so was? Kaya?« Sie warf einen kurzen Blick nach hinten, dorthin, wo wir herkamen. »Sie lügen.«
    »Gobi, ich habe Aufnahmen von deinem Gehirn gesehen.«
    »Klar. Und medizinische Aufnahmen kann man natürlich nicht verändern. Bilder manipulieren. Andere Namen einfügen.«
    »Wenn sie lügen … Warum arbeitest du dann für sie?«
    Sie blickte aus dem Fenster, und ich spürte, wie mein Herz schneller raste, wie ein kleines Fässchen, dessen Inhalt in ein tiefes Loch in meiner Brust gluckerte. Erst jetzt wurde mir klar, wie sehr ich auf eine andere Erklärung, auf irgendeine Erklärung gehofft hatte, etwas anderes als das, was Nolan zur Wahrheit erklärt hatte. Zum einen deshalb, weil ich bereits beschlossen hatte, dass Gobi die Einzige war, die meine Familie retten konnte, aber auch einfach nurweil Gobi Gobi war. Sie war vierundzwanzig Jahre alt. Sie gehört in die Welt – und wenn nicht in meine Welt, dann wenigstens in eine Variante davon, irgendwo.
    »Ich weiß, dass dieser Nolan dir die Operation versprochen hat, wenn du dich um Armitage und Monash und Paula kümmerst. Er hat mir alles gesagt.«
    »Ist nicht deine Sorge.«
    »Ach so. Na gut, dann lass ich’s eben bleiben. Dann stell ich meinen Sorger einfach ab.« Ich wollte ihre Hand nehmen, aber sie zuckte weg, als hätte ich ihr einen elektrischen Schlag verpasst. »Wenn du mich so wenig ausstehen kannst, warum bist du dann verflucht noch mal zurückgekommen, um mich zu holen?«
    »Weil du keine fünf Minuten allein überlebt hättest.«
    Jetzt wurde ich aber sauer. »Ach ja, prima, dann können wir uns ja in einem Jahr wieder treffen, mal sehen, wem von uns beiden es besser geht.«
    Sie versteifte sich, holte hörbar Luft, atmete zittrig aus und sah mich dann an. Der Schatten über ihrem Gesicht ließ ihre Züge kaum erkennen, aber ihre Augen glühten förmlich im spärlichen Licht des Armaturenbretts.
    »Es tut mir leid, ehrlich«, sagte ich. »Das war ein bisschen brutal. Ich wollte nicht, dass es so herauskommt.«
    »Du bist Doktor Perry, ja? Hast du Medizin studiert?«
    »Nein.«
    »Aber du bist ein Genie, ja? Der superschlaue amerikanische Junge, der alles sieht, der immer weiß, was für alle anderen gut ist, ja?«
    »Gobi –«
    »Wenn du dir um jemanden Sorgen machen willst, sorg dich um dich selbst. Um den Jungen, der sich in ein reichesMädchen verliebt, das mit seinem Vater schläft, um das zu erreichen, was sie erreichen will.«
    »Hör bloß damit auf.«
    Sie stieß einen Fluch auf Litauisch aus, der keiner Übersetzung bedurfte. »Fahr weiter.«
    Ich nahm die Hände vom Steuer. »Auf keinen Fall.«
    »Was?«
    »Ich versuche dir zu helfen«, fuhr ich sie an. »Kapierst du das nicht? Ich bin der Einzige, dem du wirklich vertrauen kannst.«
    Einen Moment lang wusste ich nicht, ob sie mir eine reinhauen oder mich einfach nur aus dem Auto stoßen würde. Ihr Kinn begann zu zittern, ihre

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