Wiedersehen in Stormy Meadows
Mengen vorhandene Weihnachtsgebäck gestürzt, was in dem Moment richtig toll war, sich nun aber mit leichter Übelkeit rächt. Wir sind reif für eine ordentliche Mahlzeit. Cas und ich haben den Tisch mit dem guten Geschirr, den Kristallgläsern, den Leinenservietten und dem alten, cremefarbenen Damasttischtuch gedeckt, das sich seit mindestens drei Generationen in unserer Familie befindet. Bis auf die Christbaumkette bleibt alles elektrische Licht ausgeschaltet, wir zünden so viele Kerzen an, wie wir finden können.
Nachdem wir zwanzig Minuten lang Robbie Williams’ Swinginterpretationen lauschen durften, wechselt Laura mit Cas’ Hilfe die Wiedergabeliste zu unaufdringlichem Jazz.
Kaum haben wir Gertrude aus dem Ofen geholt, kratzt auch schon Old Shep an der Tür, dicht gefolgt von Jasper. Die beiden haben entweder einen unglaublich fein ausgeprägten Geruchssinn oder verstehen sich auf perfektes Timing.
Old Shep, Jasper, Meggie und Tuff stellen sich wie die Orgelpfeifen vor dem Kamin auf: Vater, Sohn, Mutter, Welpe, Schulter an Schulter, die Hinterteile glücklich am Feuer wärmend. Vier Augenpaare sind beharrlich auf den festlich gedeckten Tisch gerichtet, in dessen Mitte zwischen all den Girlanden, Krachern, Kerzen und Schüsseln voll dampfenden Gemüses die gebratenen sterblichen Überreste von Gertrude, der stolzen Gans, thronen. Ich muss gestehen, gefüllt mit Maronen, Salbei und Zwiebeln, mit Brandykruste und mausetot gefällt sie mir nun doch viel besser als zu ihren Lebzeiten, da sie bösartig über den Hof regierte.
Laura sitzt am Kopfende des Tisches, Cas und ich flankieren sie. Meine Mutter zückt das Tranchierbesteck, doch dann hält sie inne.
Auch ich lege die Gabel, mit der ich eben noch auf die Tischplatte geklopft habe, hin. Cassie scheint sich ebenso mit Gewissensbissen zu plagen – ich sehe, wie ihr Kehlkopf sich immer wieder hebt und senkt, weil sie so oft schluckt.
Laura lässt das Messer sinken. »Das bringen wir nicht fertig, oder?«
Cas und ich schütteln einhellig den Kopf.
»Ich guck mal nach, was ich noch in der Tiefkühltruhe habe, ja?«
Schließlich besteht unser Weihnachtsessen aus: gebackenen Kartoffeln, Pastinakpüree, gebratenen Schalotten, Rosenkohl, glasierten Karotten, lila Brokkoli, Maronen-Salbei-Füllung, Wurstbrät, Bratensoße, kaltem Schinken, Schweinefleischpastete und Pepperonipizza.
»Das gibt’s doch gar nicht, dass wir nicht mal ein olles Huhn eingefroren haben«, seufzt Cas und beißt in ein Stück Pizza.
»Ich war davon ausgegangen, dass wir mindestens eine Woche lang an der Gans essen würden.« Laura zuckt die Achseln. »Darum habe ich nichts anderes mehr eingekauft. Wäre doch nur schlecht geworden.«
»Na, immerhin bleibt uns das erspart«, seufzt Cas nun lächelnd.
»Was denn?«, frage ich und reiche ihr etwas Gemüse.
»Gänseragout, Gänsesandwiches, Gänsefrikadellen, Gänsesuppe, Gänseschwarzsauer, Gänsepastete, Gänseschmalz …«
Da Laura die meiste Arbeit mit dem Kochen hatte, teilen Cas und ich uns nach dem Essen den Abwasch. Laura setzt sich mit einem Glas Portwein an den Kamin und lockert den Gürtel, damit noch ein allerletzter Keks Platz hat.
Meine Stieftochter, die während des gesamten Mittagessens fröhlich und redselig war, verfällt in mysteriöses Schweigen. Ich fasse mir ein Herz und stelle ihr eine Frage, die ich vor nur einer Woche nicht gewagt hätte ihr zu stellen. »Cas? Alles in Ordnung?«
»Wenn er doch nur hier bei uns sein könnte, Nat.« Aus schimmernden Augen sieht sie mich an.
»Ja«, erwidere ich leise. »Das wäre das allergrößte Geschenk.«
Wir schweigen. Dann schnappt sich Cas das Geschirrtuch und trocknet die Teller ein zweites Mal ab. Nach einer Weile sagt sie: »Aber wahrscheinlich ist er doch hier, oder?«
»Hier?«
»Ja.«
»Ich glaube schon.« Milde lächle ich sie an. »Doch, ich glaube wirklich.«
Sie erwidert mein Lächeln.
Wie ein gut eingespieltes Team kümmern wir uns weiter um den Abwasch. Als wir fertig sind, lächle ich Cas wieder an, und sie erwidert mein Lächeln abermals. Was für ein wunderbares Gefühl, so entspannt miteinander umgehen zu können.
Laura ist im Sessel am Kamin eingeschlafen und schnarcht leise mit offenem Mund. Der rote Papierhut ist ihr ins Gesicht gerutscht. Ich trockne meine Hände ab und creme sie ein.
»Ist es okay, wenn ich eben einen Spaziergang mache?«, flüstere ich Cas zu. »Ich muss dringend etwas von der Pizza verbrennen.«
Sie nickt. »Ich
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