Wiedersehen in Stormy Meadows
sehe mal eben nach Chance.«
Zusammen gehen wir hinaus in den Hof, Cas dicht gefolgt von Tuff. Sie öffnet Chances Stalltür, doch ich marschiere weiter bis zur Scheune, wo ich gestern einen Strauß roter und weißer Rosen in einen Eimer mit Wasser gestellt habe. Ich nehme ihn an mich und laufe los Richtung Weide. Robs Lächeln vor mir sehend, nehme ich nichts anderes um mich herum wahr. Ich habe ausschließlich ihn im Kopf: sein Gesicht, seine Stimme, seine Hände, seinen Geruch, das Gefühl seiner Lippen auf meinen, das Gefühl seiner Arme um meinen Körper.
Und dann, auf halber Strecke, mitten auf dem schneebedeckten Feld, taucht ein anderes Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Ich bleibe stehen und kehre um. Cas ist immer noch im Stall. Sie sieht erst mich, dann die Blumen in meiner Hand. Und ich habe endlich einmal das Gefühl, nichts erklären zu müssen. Ich strecke einfach nur die Hand aus, und Cas läuft auf mich zu und ergreift sie. Zusammen gehen wir zur Steilküste, stehen einige Minuten schweigend dort und werfen dann abwechselnd je eine Rose ins Meer.
Die Sonne geht bereits unter, als wir zum Haus zurückkommen. Tief hängt sie am eisblauen Himmel und wirft auf unserem Weg über die weiße Fläche lange Schatten vor uns her. Cas wirkt wieder etwas distanzierter, sie hält sich zwei Schritte hinter mir, als gehe sie bewusst etwas auf Abstand, um sich dieses neue Phänomen schweigsamer Eintracht genauer zu besehen.
Laura ist wieder wach und hat angefangen, den Tisch für den Weihnachtskaffee zu decken. In der Mitte steht ein riesiger Weihnachtskuchen, der so ausgiebig mit Brandy getränkt ist, dass der Geruch die gesamte Küche erfüllt. Mein Magen protestiert nach dem üppigen Mittagessen jetzt schon gegen weitere schwere Befüllung, aber Laura hat nun mal für den Nachmittag ein paar Gäste eingeladen. Ich mache mich daran, Sandwiches mit Schinken und Käse zu belegen, und bedauere wohl zum ersten Mal in meinem Leben, dass es keinen Truthahn zum Mittagessen gab.
Um vier Uhr kommt Connor. Mac schiebt sich noch vor ihm durch die Tür, er trägt ein neues Halsband mit einem Mistelzweig daran. Laura und Cas stürmen freudig erregt auf Connor zu. Cas nimmt ihm den Mantel ab, während Laura ihm mit seinen Taschen hilft. Ich halte mich im Hintergrund. Dann kommt er auf mich zu, wickelt sich den schwarzen Kaschmirschal vom Hals und fährt sich durch das zerzauste Haar.
»Frohe Weihnachten, Nattie.«
»Frohe Weihnachten«, antworte ich und streichele Mac, der mich Aufmerksamkeit heischend anstupst, zerstreut über den borstigen Kopf. »Wie war London?«
»Gut. Es war schön, Colm und die Kinder zu sehen.«
»Du musst ja ganz schön auf die Tube gedrückt haben, um so früh wieder hier zu sein«, höre ich mich sagen. Als wolle ich ihn rügen.
Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, das ich nur schwer deuten kann. »Ehrlich gesagt habe ich mich rausgeredet und bin schon vor dem Mittagessen wieder abgedampft. Das war nicht besonders nett von mir.«
Gerade, als ich ihn fragen möchte, warum, reicht Laura Connor ein Glas Sekt, und dann will Cassie ihm unbedingt ihren neuen Laptop zeigen.
Connor hat Geschenke dabei. Für Cassie ein aus Treibholz geschnitztes Pferd, das ganz eindeutig Chance darstellen soll. Außerdem ein Set Pinsel, aus Zobelhaar, wie Cas Laura stolz erklärt – das Feinste, was ein Künstler sich wünschen kann. Laura bekommt ein gerahmtes Gemälde – obwohl, eigentlich ist es eher ein Cartoon. Es zeigt einen Mann in feuerroter Jagdjacke auf einem ziemlich kräftigen Pferd, der nicht der einem Fuchs hinterhereilenden Jagdgesellschaft folgt, sondern in entgegengesetzter Richtung auf ein Haus zusteuert, aus dessen offenem Fenster sich eine üppig bestückte Frau in durchsichtigem, rosafarbenem Negligé beugt. Das Haus ist eindeutig Lauras Haus, Stormy Meadows, der Mann ist Charles, und das Dekolleté und die karamellfarbenen Locken sind auch unschwer einer lebenden Person zuzuordnen.
Laura muss lachen. Cas lugt ihr über die Schulter und lacht ebenfalls.
»Das ist der absolute Hammer!« Bewundernd sieht sie zu Connor auf.
»Ja, verdammt gut, was?«, pflichtet Laura ihr bei. »Nur leider werde ich es nicht überall aufhängen können.«
Connor steht direkt neben mir, als die beiden anderen das Aquarell bewundern. Unauffällig drückt er mir ein kleines Geschenk in die Hand.
»Noch nicht aufmachen«, flüstert er und schließt meine Finger um das kleine Päckchen, wie um es
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