Wiedersehen in Stormy Meadows
sich umzudrehen, flüstert er: »Nattie, komm her, schnell!«
Ohne zu fragen, warum, eile ich an seine Seite.
»Guck mal.«
Er zeigt nach rechts auf einen Punkt kurz vor dem Horizont, an dem die glitzernde See den blassblauen Himmel küsst.
»Was? Was ist da?«
Und dann sehe ich sie. Die Delfine. Wie sie springen und sich drehen, tanzen und spielen, so anmutig und schön. Fasziniert halte ich die Luft an.
Er dreht sich zu mir um. Er strahlt, seine blauen Augen glänzen vor Freude. Unsere Blicke verschmelzen, schweigend lächeln wir uns an und teilen das Gefühl, unendlich privilegiert zu sein, Zeugen eines solch wunderbaren Schauspiels sein zu dürfen.
Und dann küssen wir uns.
Zärtlich nimmt er mein Gesicht in seine Hände und zieht mich an sich heran, hält mich fest und lässt mich seine Sehnsucht spüren. Die Augen schließen wir dabei nicht. Wir sehen uns weiter intensiv an, so intensiv, dass ich meine, in ihn hineinsehen zu können. Und ich habe das Gefühl, mich fallen lassen zu können.
Wir liegen nebeneinander, unsere nackten, warmen Körper ineinander verschlungen. Mein Kopf ruht auf seiner Brust, ich lausche seinem Herzschlag und spüre seine Atmung. Seine Brust hebt und senkt sich. Irgendwann habe ich das Gefühl, er würde für mich atmen. Und dann geht mir überdeutlich auf, dass ich es bin, die atmet. Dass ich lebe. Dass ich etwas empfinde. Unzählige Gefühle regen sich in mir, mein ganzer Körper prickelt wie ein Fuß, der eingeschlafen war und wieder durchblutet wird.
Mir ist, als durchflute mich neues Leben.
Es wird ziemlich spät, ehe ich mich losreißen kann. Ich dusche und stolpere mit nassen Haaren die Treppe herunter. Connor erwartet mich am Fuß der Treppe mit einem Kaffee, den er aber abstellt, um mich noch einmal in die Arme zu schließen, mich noch einmal zu küssen, lang und ausgiebig. Dann lehne ich mich mit der Wange an seinen Hals, sauge gierig seinen Duft ein und genieße seine Wärme.
Connor hat mir angeboten, mich nach Hause zu fahren, aber ich habe abgelehnt. Ich möchte lieber laufen. Aber statt den direkten Weg nach Stormy Meadows einzuschlagen, entscheide ich mich für den Küstenpfad. Die Dämmerung hat eingesetzt, die Sonne versinkt zusehends in den schwarz wirkenden, kalten Fluten des Meeres.
Es ist bereits ganz dunkel, als ich die Lichter von Stormy Meadows sehe, doch anstatt quer über die Weide darauf zuzugehen, mache ich noch einen Abstecher an die Klippe. Ich suche mir ein trockenes Plätzchen, setze mich und lasse den Blick auf die graue See unter mir schweifen. Ich muss mich sammeln und die Gedanken sortieren, die in meinem Kopf herumwirbeln wie der Strudel direkt unter mir, der das Treibgut von der Oberfläche in die Tiefe zieht.
Ich habe das Gefühl, Rob betrogen zu haben. Ich vergleiche mich mit Judas, der den, den er doch am meisten von allen liebte, mit einem Kuss verriet. Und gleichzeitig … Gleichzeitig fühlt es sich so richtig an, so perfekt, so warm, so echt.
Was, wenn ich Connor zu Robs Lebzeiten begegnet wäre? Hätte ich dann … Wäre es mir auch nur ansatzweise eingefallen …
Ich schüttle den Kopf, um das Gedankenkarussell zu stoppen. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie es mir im Moment geht. Aber ich bin mir ganz sicher, dass ich keine Sekunde bereue, was passiert ist. Und ich weiß, dass ich meine Gefühle für Connor sehr gründlich analysieren muss. Nicht nur meinetwegen, sondern vor allem seinetwegen.
Bedeutet er mir wirklich so viel, wie ich jetzt gerade glaube, oder bin ich geblendet von Trauer und Einsamkeit? Würde ich mich auch von jemand anderem trösten lassen? Oder nur von Connor? Von ihm, der es vermocht hat, sich so leise und doch so nachhaltig in mein Leben, meine Gedanken – und mein Herz zu schleichen?
Noch während ich mich all das selbst frage, ist mir die Antwort so schlagartig klar, dass ich aufspringe.
Es ist schon spät, als ich nach Stormy Meadows zurückkehre. Die Außenbeleuchtung ist an, was heißt, dass gerade erst jemand draußen gewesen sein muss – und wenn es nur einer der Hunde war.
Der Duft nach Abendessen dringt bis in den Hof. Laura ist dabei, den Küchentisch zu decken, Meg und Tuff schlafen vor dem Kamin. Meg riskiert nur ein Auge und wedelt zur Begrüßung einmal kurz mit dem Schwanz, als ich hereinkomme. Tuff dagegen öffnet beide Augen, streckt sich und tapert dann zu mir herüber, um mich angemessen zu begrüßen.
15
S ilvester. Wir bereiten uns auf das Fest vor. Cas sitzt auf Lauras
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