Wiedersehen in Stormy Meadows
lädt uns ein, über Weihnachten zu ihr zu kommen«, beginne ich. Ich lege so viel Widerstreben in meine Worte, wie ich nur kann.
Cas ignoriert mich.
»Das ist natürlich alles andere als ideal. Ich versuche gerade, mir eine Ausrede einfallen zu lassen, warum wir nicht hinfahren können. Was meinst du? Hast du eine Idee, was dagegen sprechen könnte?«
Cas zuckt die Achseln.
»Nein?«
Wieder zuckt sie die Achseln.
»Möchtest du denn fahren?«
»Keine Ahnung.«
»Würdest du lieber hierbleiben?«
Jetzt sieht sie mich tatsächlich über den Tisch hinweg an. »Nein«, erklärt sie energisch.
»Dann soll ich also zusagen? Dass wir nach Cornwall fahren?«
»Meinetwegen.«
Ich rufe meine Mutter an, während Cas noch in der Küche ist. Ich rechne damit, dass sie das Gespräch unterbricht und doch noch protestiert. Aber statt des erwarteten Widerstands nehme ich bei ihr nur müde Resignation wahr.
Nach dem Telefonat drehe ich mich zu ihr um. »So, das ist also geklärt. Am Wochenende fahren wir los.«
Sie starrt mich mit ihrem irritierenden, gekränkten Blick an, zuckt nur wieder mit den Schultern und trottet aus der Küche.
Als ich den Teller mit den angetrockneten Apfelsinenscheiben nehme, um ihn abzuräumen, erkenne ich das Muster: ein V für Victory.
Ich beantrage Urlaub, und Elaine, meine Redakteurin, genehmigt ihn überraschend bereitwillig. Vermutlich kann sie immer noch nicht fassen, dass ich so schnell nach Robs Beerdigung wieder gearbeitet habe, und hält es jetzt für klug, mir freizugeben, um nicht eine potenzielle Psychiatriepatientin im Team zu haben. Oder aber sie spekuliert auf eine Nachfolgerin, was mir im Moment allerdings ziemlich egal wäre.
Ich bin erschöpft, und die Aussicht auf einen längeren Urlaub ist viel attraktiver, als ich gedacht hatte. Außerdem kann ich ja auch in Cornwall schreiben, vielleicht sogar freiberuflich ein paar Aufträge annehmen. Es wird bestimmt schön sein, wenn ich zur Abwechslung mal ganz allein über meine Arbeit bestimmen kann. Elaine ist eine gute Chefin, aber sie ist ein bekennender Kontrollfreak und erst dann mit einem Text zufrieden, wenn sie zumindest ein bisschen daran herumkorrigiert hat – und sei es auch nur am Titel oder an der Zeichensetzung.
Noch dreieinhalb Wochen bis Weihnachten, also werde ich fünf Wochen frei haben, ehe ich im neuen Jahr wieder zur Arbeit gehe. Es ist das erste Mal in meinem Arbeitsleben, dass ich so lange Zeit am Stück Urlaub mache. Wenn ich bedenke, dass die Arbeit im vergangenen Jahr mein Lebenselixier war, staune ich, wie sehr ich mich darauf freue, mal rauszukommen, weg aus London und weg von allem, was mir vertraut ist.
Die Farm, auf der meine Mutter lebt, heißt Stormy Meadows. Sie war unser letztes gemeinsames Zuhause. Aber ist »Zuhause« das richtige Wort? Das alte Farmhaus war eben ein Haus, in das wir nach dem Tod meines Vaters einzogen – das letzte in einer langen Reihe, und auch dort bin ich nicht heimisch geworden.
Merkwürdig, wenn ich an Zuhause denke, stelle ich mir immer das Haus vor, in dem wir vor Dads Tod gewohnt haben. Wir drei zusammen. In diesem Haus war meine Mutter glücklich, dort lachte, tanzte und sang sie. Normalerweise war sie so gut gelaunt, dass sie auf angenehme Weise anstrengend war.
Wie meine Mutter und mein Vater sich gefunden haben, weiß ich nicht. Er war klein, bescheiden, fast schüchtern – sie riesengroß und doppelt so schön wie er. Die beiden waren sehr verliebt und total verschmust, sie küssten sich immerzu. Mich brachte das in Verlegenheit, aber irgendwie war es ja auch nett. Unsere ganze Familie schmuste gern. Wenn zwei von uns sich umarmten, kam der Dritte immer dazu.
Und ich krabbelte jeden Sonntagmorgen zu meinen Eltern ins Bett. Warm und geborgen lag ich zwischen ihnen, während mein Vater die Sonntagszeitung las und meine Mutter in einer Modezeitschrift blätterte.
Als mein Vater starb, war mir, als hätte ich beide Eltern verloren. Nicht nur mein Vater war aus meinem Leben verschwunden, sondern auch die Mutter, die ich bis dahin gekannt hatte.
Nicht lange nach dem Tod meines Vaters zogen wir um. Ich glaube, meine Mutter bereute diesen etwas überstürzten Schritt noch lange. Sie floh vor den Erinnerungen, die unser Haus barg, doch die anfängliche Erleichterung machte bald einem heftigen Verlustgefühl Platz. Meine Mutter trauerte, weil sie nicht mehr in dem Zuhause lebte, das sie gemeinsam mit meinem Vater aufgebaut hatte.
Das ist einer der Gründe,
Weitere Kostenlose Bücher