Wiedersehen in Stormy Meadows
warum ich zurück in Robs Haus gezogen bin. In unser Haus. Er hatte dort zwar schon mit seiner Familie gelebt, lange bevor er mich kennenlernte, aber er gab mir stets das Gefühl, es sei unser gemeinsames Zuhause. Hier zu sein ist gleichzeitig herzzerreißend und tröstlich, so als wäre ich in einen alten Pullover von ihm gehüllt, der noch nach seinem Aftershave riecht.
Ich versuche immer, mich an das Gute in unserem gemeinsamen Leben zu erinnern. Das gehört zu den wenigen Dingen, die mir Kraft geben.
In gewisser Weise kehrte meine Mutter nach Dads Tod zu ihrem Ursprung zurück, in die Zeit, als sie mit dem Varieté auf Wanderschaft war. Rastlos zog sie von Ort zu Ort. Nie blieb sie lange genug, um Wurzeln zu schlagen oder Freundschaften zu schließen.
Von der unpersönlichen kleinen Wohnung in Brighton, in die wir zuerst einzogen – ich war damals sieben –, wandten wir uns nach Süden, wie Zugvögel auf der Suche nach einem wärmeren Klima. Von Brighton ging es nach Portsmouth, von Portsmouth nach Bournemouth, von Bournemouth nach Exmouth, von Exmouth nach Plymouth, von Plymouth nach Falmouth, bis wir schließlich auf Stormy Meadows landeten, ganz in der Nähe von Land’s End. Von hier aus konnten wir nicht weiter, es sei denn, wir hätten das Meer überquert.
Ich muss etwa ein Jahr auf Stormy Meadows gelebt haben, bevor ich allein nach London zurückkehrte. Ich erinnere mich jedenfalls nur an ein einziges Weihnachten dort. Damals waren wir vom zweiten Weihnachtsfeiertag bis nach Neujahr eingeschneit. In diesen Tagen, als ich allein mit meiner Mutter im Haus festsaß, beschloss ich vermutlich, gleich nach meinen Abschlussprüfungen abzuhauen. Zurück in die Stadt zu gehen, die ich als richtiges Zuhause in Erinnerung hatte.
Nach London.
Sweet Sixteen, mit etwa zweihundert Pfund auf dem Konto, ohne Job, ohne Bleibe, aber mit einer Entschlossenheit, die jede Furcht vor dem Unbekannten überwand. Ich suchte mir eine billige Unterkunft in einem Schlafsaal und stapfte drei Wochen lang kreuz und quer durch London, durchforschte die Zeitungen vom Guardian bis zur Islington Christian Times nach einer Arbeitsstelle, nach irgendeinem Job, um die erste Sprosse der Karriereleiter in einem Beruf im Verlagswesen zu erklimmen.
Weil ich einfach nicht aufgab, konnte ich mir schließlich mit drei parallelen Jobs mein Journalistikstudium finanzieren. Ich stand jeden Tag um sechs auf, servierte ausgehungerten Lkw-Fahrern in einem Greasy Spoon in Watford das Frühstück, dann ging ich von neun bis vier in die Schule, und an fünf Abenden in der Woche arbeitete ich in einer Kneipe um die Ecke, schwarz und illegal, weil ich noch minderjährig war. Samstags und sonntags putzte ich Büros.
Diese Jahre gehörten sicherlich zu den anstrengendsten in meinem Leben, aber auch zu den erfüllendsten. Ich hatte ein Ziel, auf das ich mit Begeisterung hinarbeitete. Keine Ahnung, ob ich so was heute noch mal durchstehen könnte. Ich glaube, mit sechzehn war ich stärker als jetzt mit zweiunddreißig. Ich war ein hartes kleines Ding, eine glänzende Rosskastanie in einer stachligen grünen Hülle.
Die Jahre haben mich weicher gemacht.
Und auch durch Rob bin ich weicher geworden.
Für eine knallharte Journalistin ist das nicht immer gut. Zugegeben, ich habe etwas an Biss verloren, als ich Rob kennenlernte, aber dafür habe ich eine breitere Perspektive gewonnen, und das kam meiner journalistischen Arbeit zugute. Rob hat mir beigebracht, mich zu bremsen und besser zuzuhören. Ich habe ausgezeichnete Ohren, und die brauche ich auch, um gute Arbeit zu leisten. Aber oft habe ich nur wie durch einen Filter gehört. Bevor ich Rob kannte, befragte ich meine Gesprächspartner immer nach einem vorbereiteten Schema, das auf meinen bereits vorhandenen Informationen basierte, und horchte nur auf ganz bestimmte Dinge. Rob lehrte mich, ganz offen in ein Interview zu gehen und das Gesamtbild zu betrachten. So erfährt man häufig mehr über einen Menschen, als man je für möglich gehalten hätte.
Rob zeigte mir so vieles, und selbst nach seinem Tod lerne ich noch von ihm.
Er sagte mir immer, ich solle lieber Brücken bauen, statt sie hinter mir abzubrechen.
2
A m letzten Novembertag machen wir uns auf den Weg nach Stormy Meadows. Zu meiner Erleichterung verbringt Cassie den größten Teil der Fahrt schlafend. Sie wacht erst auf, als wir über das Bodmin Moor fahren, betrachtet mit sichtlichem Schaudern die eintönige, verregnete Landschaft und
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