Wiedersehen in Stormy Meadows
Beziehungsweise auf mich.
Wie beruhigend.
Ich beuge mich wieder über den Tisch, schätze die Abstände und Winkel mit meinem Queue ab und setze dann zum Stoß an. Am liebsten würde ich die Augen zumachen, tue es dann aber doch nicht.
Ein Raunen erfüllt den Pub, als die Kugel nicht im anvisierten Loch verschwindet. Sie prallt ab, rollt quer über den Tisch und fällt in das gegenüberliegende Loch.
»Yes!« Cas springt von ihrem Hocker auf, rast auf mich zu, packt mich bei den Händen und wirbelt mich in einer Art Siegestanz um den Tisch. Mein Strahlen ist mehr meiner Freude über Cas’ Freude geschuldet denn einem Triumphgefühl. Sie ist völlig aus dem Häuschen darüber, dass wir gewonnen haben. Sie lässt mich los, und ich komme taumelnd an der Bar zum Stehen, während sie aus Leibeskräften »We are the champions!« schmettert, direkt in Charles’ linkes Ohr.
Charles ist sportlich genug, um seiner Niederlage mit einem Lächeln zu begegnen. Er zieht ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und zählt fünf Zwanziger ab.
»Nein, nein.« Ich hebe abwehrend die Hände. »Wir wollen das Geld gar nicht. War ja eigentlich gar keine richtige Wette.«
»Ach, das heißt, wenn wir gewonnen hätten, hättest du nicht mit den Hundert rausrücken wollen?«
»Doch, natürlich. Selbstverständlich.«
»Dann kannst du es mir jetzt auch nicht verbieten.«
»Aber –«
»Kein Aber. Ich bestehe darauf.«
»Okay«, nicke ich. »Wenn du unbedingt willst. Aber wie wäre es, wenn du das Geld der Dame hinterm Tresen reichst?« Ich sehe Cas an, hoffe auf ihre Zustimmung. Sie nickt begeistert.
»Wir schmeißen eine Runde!«, ruft sie glücklich. »Danke, Nat. Das habe ich schon immer mal machen wollen.« Sie stellt sich neben mich und grinst immer noch wie ein Honigkuchenpferd.
»Kannst du mir Billard spielen beibringen?«, fragt sie mit leuchtenden Augen. »Du warst echt der Hammer!«
»Na, da hast du wohl bei jemandem ganz schön Eindruck geschunden«, brummt Laura.
»Einmal ist immer das erste Mal«, erwidere ich und freue mich einfach, dass Cas endlich mal etwas gut findet, was ich gemacht habe.
Auch Connor lächelt ziemlich breit. »Muss schon sagen, das war gar nicht übel, meine Liebe. Ich nehme an, du hast in deiner Jugend jede Menge geübt?«
»Nö.« Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Das war bloß Anfängerglück.«
»Klar, und das hier ist das erste Glas Guinness in meinem Leben«, flunkert er und zwinkert mir zu, als er mir damit zuprostet.
»Wenn das so ist, möchten Cas und ich dir gerne das zweite Glas Guinness deines Lebens ausgeben.«
»Tut nicht not. Habe schon was anderes bestellt.« Er sieht zu Orlaithe, die strahlend eine Flasche Sekt vor Connor auf den Tresen stellt. »Um euren Sieg zu feiern. Cas, willst du sie aufmachen?«
Begeistert entkorkt Cas die Flasche, dann wendet sich Connor wieder mir zu. »Also, nun sag schon: Wo hast du so gut Billard spielen gelernt?«
»Als ich damals nach London gezogen bin, habe ich das erste Jahr in einem YWCA-Wohnheim gewohnt«, erzähle ich, setze mich auf den Hocker neben ihn und nehme das Sektglas an, das er mir reicht. »In dem Jahr habe ich, glaube ich, jeden Abend Billard gespielt. Es gab ja nicht so viele andere Möglichkeiten, und ich konnte mich dabei ganz gut vom Studium und der Arbeit erholen. Und damals musste ich gewinnen. Ich konnte es mir überhaupt nicht leisten , zu verlieren. Ist allerdings lange her, seit ich zuletzt gespielt habe. Ich hatte ein bisschen Angst, dass ich alles vergessen hätte, aber wahrscheinlich ist es mit dem Billardspielen wie mit dem Fahrradfahren: Man verlernt es nie, man muss nur erst wieder reinkommen …« Ich sehe zu Cas, um sicherzugehen, dass sie nicht lauscht, aber nachdem sie Sektgläser verteilt hatte, wurde sie von Charles zu einer weiteren Runde herausgefordert. Jetzt zeigt Laura ihr, wie sie die Stöße angehen muss, um ihn möglicherweise zu schlagen.
»Was hast du gestern eigentlich mit Cas gemacht? Die war ja wie ausgewechselt, als sie von dir wiederkam. Von ›zu Tode betrübt‹ zu ›himmelhoch jauchzend‹.«
»Tja, so ist das nun mal, wenn man ein bisschen Zeit mit Connor Blythe verbringt – man kommt aus dem Lachen nicht mehr raus«, lächelt er. »Ach, nein, das kommt ja erst, wenn man mich zum ersten Mal nackt sieht … Keine Sorge, den Anblick habe ich Cas natürlich erspart!« Er grinst. Mir ist klar, dass er alles dafür tut, die etwas seltsame Atmosphäre zwischen uns nach meiner
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