Wiedersehen in Virgin River
beinahe als alte Freunde bezeichnen. Eigentlich hieß er Miguel. Das wusste sie. Obwohl in den Vereinigten Staaten geboren, hatte er es geschafft, seine kulturellen Wurzeln zu bewahren, die Romantik seines Landes, die in seiner Musik anklang, in dieser erotischen spanischen Gitarre.
Es war jetzt mehr als sechs Monate her, dass Brad sie verlassen hatte. Allmählich war sie bereit für ein wenig Aufmerksamkeit vonseiten eines Mannes. Aber diesmal würde sie vorsichtiger sein. Nicht noch einmal wollte sie sich auf einen Mann einlassen, dem es an Bindungsfähigkeit mangelte. Brie wusste alles über Mike. Er hatte schon lange Zeit mit Jack zu tun und war ein perfekter Flirt. Wahrscheinlich sah er sich selbst als den großen Latin Lover. Sie hatte davon gehört, dass er zwei Ehefrauen und irgendwelche hundert Freundinnen hinter sich gebracht hatte. Ein Wunder war das kaum, denn er sah gut aus und war sehr sexy. Wahrscheinlich lagen sie ihm zu Füßen. Sie wollte die Musik genießen und die Fantasie. Der Mann selbst war eindeutig Gift.
Brie genoss einen wunderschönen Aufenthalt. Mit dem Baby im Schlepptau durchkreuzte sie mit Mel die Redwoods, besuchte in Grace Valley ihre Freunde, machte Einkaufsbummel in den Küstenstädtchen und Besuche bei den Einheimischen. Mel ging so relaxed mit dem Baby um, das sie in einem Tragetuch am Körper hielt. Und wenn ihr nach einer Pause zumute war, verlängerte sie nur die Bänder an dieser Trage, sodass sie Jack genau passten, und reichte ihm seinen Sohn. Die Leute in Virgin River gewöhnten sich bereits daran, dass ihnen die Drinks von einem Mann serviert wurden, der ein Baby umgebunden hatte.
Während einer typischen Dinnerrunde in der Bar stand Mel irgendwann auf, ließ Brie und Mike allein am Tisch und reichte ihrem Mann den Sohn, um der Damentoilette einen Besuch abzustatten. Jedes Mal, wenn sie David an Jack übergab, wurden seine Augen weich und warm und füllten sich mit Liebe und Stolz, wenn er das Baby übernahm. Dann schlich sich aber auch noch ein anderer Ausdruck in seine Züge, während er seiner Frau nachsah. Die Blickrichtung senkte sich auf ihren Hintern, und seine Kinnpartie verspannte sich.
„Mein Bruder“, wandte Brie sich eines Tages an Mike, als sie gesellig in der Bar zusammensaßen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn einmal so sehen würde, mit einer Frau und einem Sohn. Er scheint mehr als glücklich zu sein. Aber hin und wieder meine ich doch, auch etwas wie Unruhe in seiner Miene zu erkennen. Vielleicht ist er auch einfach von der Verantwortung überwältigt.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob es das ist, was du siehst“, entgegnete Mike, dem Jacks Miene ebenfalls gerade aufgefallen war. „Ich habe vier verheiratete Brüder. Männer unterhalten sich.“
„Worüber reden sie?“, wollte sie wissen.
Anstelle einer Antwort fragte er sie: „Wie alt ist David jetzt?“
„Fast sechs Wochen. Warum?“
Er lächelte und legte eine Hand über ihre. „Warum kommst du nicht morgen mit mir zum Angeln raus? Du könntest dir Mels Ausrüstung und ihre Wathose ausleihen. Wir könnten stundenlang draußen am Fluss bleiben.“
Sie zog ihre Hand unter seiner weg. „Oh, danke, aber Mel und ich wollten nach …“
„Du könntest Mel und Jack sagen, dass du stundenlang am Fluss bleiben wirst“, sagte er. „Stundenlang.“
„Aber …“
Er verdrehte die Augen. „Brie, es würde dir gefallen. Das garantiere ich.“
Sie beugte sich zu ihm. „Hör zu, Mike. Du solltest eins verstehen. Ich bin hier, um Mel und Jack und das Baby zu sehen, nicht um …“
Er schielte zur Bar hinüber und sah, dass Mel zurück war und gerade das Baby wieder übernahm. „Wir sollten sie ein paar Stunden allein lassen. Glaube mir, ich habe dabei nicht an uns gedacht. Ich dachte an sie.“
Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, wie ihr Bruder und ihre Schwägerin sich über den Kopf des Babys hinweg nur einen kurzen Kuss gaben. Dann sah sie wieder Mike an. „Glaubst du wirklich?“
„Ich kenne diesen Blick. Wenn du morgen mit mir angeln gehst, wirst du diesen Ausdruck im Gesicht deines Bruders nicht mehr sehen, wenn du zurückkommst. Diese verspannten Züge werden größtenteils verschwunden sein. Da bin ich mir ziemlich sicher.“
„Was, wenn mir nicht sonderlich viel am Angeln liegt?“
„Sag ihnen einfach nur, dass du angeln gehst. Wir können uns dann auch etwas anderes überlegen. Etwas, das Stunden dauern wird.“
Sie beugte sich näher zu ihm.
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