Wiedersehen in Virgin River
hinausführte, konnte er in einen manikürten Garten sehen, der von einer hohen Mauer umgeben war. Dort stand übererdig eine Art Whirlpool, der mit einer grünen Lederplane abgedeckt war. Es gab einen Grill, ein Vogelbad, einige Gartenmöbel, aber keinerlei Spielzeug. Hatte Paige nicht von drei Kindern gesprochen?
Bud wies mit der Hand auf einen Stuhl, und Preacher setzte sich neben ihn. Bud war kein kleiner Mann. Er mochte etwa einsachtzig groß sein und hatte gute Arme. Sein Haar war richtig kurz geschnitten, und die Ärmel seines T-Shirts hatte er ein paar Striche hochgeschoben, um seinen Bizeps ins rechte Licht zu rücken. Ständig lächelte er, was allein schon ein Signal war – man lächelt doch nur, wenn einen etwas zum Lächeln bringt. Wieder einmal sagte er Chris, er solle spielen gehen. Preacher hob Chris auf seinen Schoß.
Wie die Lemminge folgten die Frauen und setzten sich zu den Männern an den Tisch. Bud bediente sich an den Chips und Salsa, die er mit Bier hinunterspülte. Er wandte sich an Paige: „Erzähl mir von dem Ort, wo du jetzt wohnst.“
„Virgin River“, begann sie. „Es liegt in den Bergen oben im Norden. Es ist sehr hübsch. Viele hohe Bäume.“
„Und wie bist du dort gelandet?“, fragte er.
„Wir waren auf dem Weg zu einer Freundin und hatten uns verfahren“, sagte sie, die Stimme nur wenig leiser, als Preacher es inzwischen von ihr gewohnt war. „Chris hatte Fieber, und es gab dort einen Arzt. Also sind wir erst mal dortgeblieben.“
Während er Paige zuhörte, wie sie einen nahezu erdichteten Bericht über das Geschehen abgab, gab Preacher sich Mühe, nicht die Stirn zu runzeln. Die Geschichte mochte ja für ihre neuen Freunde in Virgin River gut genug sein, aber sie in dieser Form ihrer Familie zu erzählen, den Leuten, die ihr nahestanden, kam ihm irgendwie so verkehrt vor. Sie erzählte ihnen, dass sie wegen Chris eine Weile dortbleiben musste, und dann hätte sie sich in den Ort verliebt. Die Leute waren so nett, sie brauchten ein wenig Hilfe in der Bar und der Küche, und schließlich hielt sie es für vielleicht genau die Veränderung, die sie brauchte. Sie hätte beschlossen, herauszufinden, ob es das Richtige für sie sei. Bud fragte, was denn Wes davon hielt, und Paige antwortete ihm: „Also, er war nicht wirklich glücklich darüber, Bud, aber ich habe mich entschieden.“ Nicht wirklich glücklich? Sie und ihr Bruder knabberten da gerade mal am Rande des wirklichen Dramas herum. Preacher wunderte sich. Wussten sie denn gar nichts von ihrem Leben? Nichts von dem traurigen und gefährlichen Zustand ihrer Ehe? Von ihrer Flucht, mit der sie ihr Leben retten wollte? Ihre Kinder retten wollte?
Ein Kind lief durch die Küche. Ein kleines Mädchen, ungefähr sieben oder acht Jahre alt, ein wildes Leuchten in den Augen. Sie schnappte sich eine Handvoll Chips, ihr Vater bellte sie an, sie solle spielen gehen, und schon war sie wieder verschwunden.
Paige sprach noch ein wenig über die Gegend, die Redwoods, die Menschen, den einfachen Lebensstil. Bud erhob sich und holte zwei weitere Flaschen Bier. Eine davon stellte er Preacher hin, der lehnte ab: „Danke, ich habe noch.“ Doch Bud ließ das Bier einfach vor ihm stehen.
Vorsichtig streckte Chris die Hand aus, um sich ein Chip zu nehmen. „Die sind für die Erwachsenen, mein Junge“, sagte Bud, und Chris riss die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. Preacher versuchte, Bud nicht wütend anzufunkeln, zog aber die Schüssel näher zu sich und Chris heran. „Er könnte ja Hunger haben“, sagte er nur, nahm ein Chip aus der Schüssel und reichte es Chris. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er, wie Paige mit dem Anflug eines Lächelns beobachtete, was er tat. Auch fiel ihm auf, dass Dolores und Gin wenig sprachen und, wenn überhaupt, nur sparsam an den Hors d’oeuvres partizipierten. Vorsichtig.
Ein anderes Kind kam nun hereingelaufen. Wieder ein Mädchen, schmuddelig, das Haar zerzaust, ungebundene Schuhe. Was immer dort im Spielzimmer vor sich ging, es schien die Kinder aufzudrehen wie ein ganzer Nachmittag draußen auf dem Spielplatz. Sie griff in die Chips, wurde angebrüllt, sie solle wieder spielen gehen, und verschwand. Preacher mochte ja eine Bar führen und in erster Linie mit Männern zu tun haben, aber an Väter, die ihre Kinder außer Sichtweite hielten, war er nicht gewöhnt. Und das auch noch ziemlich grob. In seinem Bekanntenkreis wurden Familien geschätzt. Die meisten seiner Freunde
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