Wiedersehen macht Liebe (German Edition)
der ganzen Sache wohl auch davongekommen, wenn er es dabei belassen hätte.
Doch irgendwann zwischendurch, als er angetrunken und wütend vor dem Computer saß und auf diesen dämlichen Tweet starrte, erlebte er einen Augenblick vermeintlicher alkoholbedingter Klarheit. Er erkannte, dass das eigentliche Problem bei den sozialen Netzwerken lag, durch die die Welt zu einem Ort verkommen war, an dem es in Ordnung war, mit jemandem in hundertvierzig Zeichen Schluss zu machen.
Also legte er die ganze Seite lahm.
Das war nicht besonders schwierig. Jedenfalls nicht für ihn. Er brauchte dazu nicht mehr als einen raffinierten Computervirus und etwa fünfzigtausend unwissentlich infizierte Computer.
Nehmt das, ihr Twittersüchtigen!
Nachdem er die Seite lahmgelegt hatte, beschloss er, einen draufzumachen. Er steckte seinen Laptop, seinen Ausweis und ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln in einen Rucksack, stieg in einen nächtlichen Flieger nach Tijuana und verbrachte die nächsten zwei Tage damit, sich den Verstand wegzusaufen.
»Warum Tijuana?«, hatte Jordan ihn während des Tumults, der auf seine Verhaftung gefolgt war, gefragt.
»Es erschien mir wie ein Ort, an dem einem niemand Fragen stellt«, hatte er achselzuckend erwidert.
Und so war es auch gewesen. In Tijuana wusste niemand, wer er war, oder es war ihnen egal. Er war nicht mehr der Typ, dessen Supermodelexfreundin ihn betrogen hatte. Er war kein Erbe, Technikfreak, Geschäftsmann, Sohn oder Bruder. Er war niemand, und er genoss jede einzelne der achtundvierzig Stunden seiner Anonymität – als Sohn eines Milliardärs hatte ihm diese Freiheit seit Langem gefehlt.
Am zweiten Abend seines kleinen Ausflugs hatte Kyle an der Bar gesessen, die während der letzten zwei Tage zu seinem Zuhause geworden war, und den, wie er entschieden hatte, letzten Drink des Abends getrunken. Er war noch nie zuvor auf einer Sauftour gewesen und hatte sie wie die meisten Männer als wirksame Methode empfunden, um mit seinen Problemen umzugehen. Doch früher oder später musste er wieder in die wirkliche Welt zurück.
Esteban, der Barkeeper, warf Kyle einen Blick zu, während er ein paar Gläser reinigte. »Denken Sie, dass die diesen Typen erwischen werden?«, fragte er mit einem schweren mexikanischen Akzent.
Kyle blinzelte überrascht. Das waren mehr Worte, als Esteban in den vergangenen zwei Tagen mit ihm gewechselt hatte. Kurz überlegte er, ob dies seiner Keine-Fragen-Politik widersprach, kam letztendlich aber zu dem Schluss, dass es in Ordnung war. Schließlich sprachen sie ja nicht über ihn .
»Welchen Typ?«, fragte er.
»Diesen Twieder-Terroristen«, erläuterte Esteban.
Kyle schwenkte sein Glas hin und her. »Keine Ahnung, was ein Twieder ist oder wie man es terrorisiert, aber es klingt nach einer verdammt aufregenden Geschichte, Amigo.«
»Oh, Sie machen wohl Witze, was?« Esteban deutete auf einen Fernseher an der Wand hinter Kyle. »Twie-ter, pendejo .«
Aus reiner Neugier drehte sich Kyle zu dem Bildschirm um und sah eine mexikanische Nachrichtensendung. Seine vier Jahre Schulspanisch halfen ihm wenig, da die Reporterin zu schnell sprach, als dass er sie hätte verstehen können. Aber drei Worte am unteren Rand des Fernsehers benötigten keine Übersetzung.
El Twitter Terrorista
Kyle verschluckte sich an seinem Tequila.
Oh … Scheiße!
Er starrte mit wachsender Verzweiflung auf den Bildschirm, während er zu verstehen versuchte, was die Reporterin sagte. Das war ganz schön schwer, besonders angesichts der Tatsache, dass er ziemlich betrunken war, aber er schaffte es, die Worte policia und FBI aufzuschnappen.
»Jordo, ich hab’s verbockt«, sagte er, sobald sie ans Telefon ging.
Wahrscheinlich hatte sie die Angst in seiner Stimme gehört, denn sie war sofort auf den Punkt gekommen. »Bekommst du es wieder hin?«
Kyle wusste, dass er es zumindest so schnell wie möglich versuchen musste. Sobald er aufgelegt hatte, warf er seinen Laptop an und beendete die Botnet-DoS-Attacke.
Es gab nur ein Problem: Dieses Mal wartete das FBI auf ihn.
Und es hatte ebenfalls Computerspezialisten.
Am nächsten Morgen packte Kyle verkatert seinen Rucksack und nahm ein Taxi zum Flughafen. Kurz bevor er den Flieger bestieg, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Ich muss nicht zurückgehen. Doch Davonlaufen war keine Lösung. Er war der Meinung, dass ein Mann einfach dazu stehen musste, wenn er Mist gebaut hatte.
Als sie auf dem O’Hare-Flughafen gelandet waren,
Weitere Kostenlose Bücher