Wiedersehen mit Mrs. Oliver
fälschlicherweise verdächtigt hatte, denn ihr »Leichnam« war in hochkünstlerischer Stellung in der Nähe des Fensters auf dem Fußboden ausgebreitet.
Marlene antwortete nicht, sondern blieb regungslos liegen. Durch das geöffnete Fenster kam ein sanfter Windstoß, und die Blätter der illustrierten Zeitschriften auf dem Tisch raschelten leise.
»Schon gut«, erklärte Mrs Oliver ungeduldig. »Ich bin’s nur, und M. Poirot. Bis jetzt ist noch niemand bis hierher vorgedrungen.«
Poirot runzelte die Stirn. Er schob Mrs Oliver sanft beiseite und beugte sich über das junge Mädchen auf dem Fußboden. Ein unterdrückter Aufschrei kam von seinen Lippen, dann blickte er zu Mrs Oliver auf.
»Was Sie erwartet haben, ist geschehen, Madame«, sagte er.
»Sie glauben doch nicht, dass …« Mrs Olivers Augen weiteten sich entsetzt, sie griff nach einem der Korbstühle und setzte sich. »Sie glauben doch nicht etwa, dass sie tot ist?«
Poirot nickte.
»Ja, sie ist tot, und zwar noch nicht sehr lange.«
Er hob einen Zipfel des bunten Tuchs, das um den Kopf des Mädchens gebunden war, so dass Mrs Oliver die Enden der Wäscheleine sehen konnte.
»Genau wie mein Mord«, sagte Mrs Oliver mit zitternder Stimme. »Aber wer? Und warum?«
»Das ist die Frage«, meinte Poirot. Er unterdrückte die Bemerkung, dass sie die gleichen Fragen auf ihrem Merkblatt gestellt hatte und dass die Antworten darauf sich nicht mit ihren eigenen decken konnten, weil das Opfer nicht die ehemalige jugoslawische Frau eines Atomwissenschaftlers war, sondern Marlene Tucker, ein vierzehnjähriges Mädchen aus dem Dorf, das, soweit er wusste, auf der ganzen Welt nicht einen einzigen Feind hatte.
9
K ommissar Bland saß an einem Tisch im Herrenzimmer. Sir George hatte ihn bei seiner Ankunft begrüßt, war mit ihm zum Bootshaus gegangen und danach ins Haus zurückgekehrt. Unten im Bootshaus waren jetzt die Fotografen bei der Arbeit; die Sachverständigen für Fingerabdrücke sowie der Polizeiarzt waren soeben eingetroffen.
»Werden Sie hier arbeiten können?«, fragte Sir George.
»Sehr gut, danke, Sir George.«
»Was soll aus dem Gartenfest werden? Soll ich es abblasen?«
Kommissar Bland überlegte einen Augenblick.
»Was haben Sie bisher unternommen, Sir George?«
»Ich habe kein Wort gesagt. Das Gerücht über einen Unfall scheint sich allerdings schon verbreitet zu haben – sonst nichts. Ich glaube nicht, dass irgendjemand auf den Gedanken gekommen ist, dass es sich – um einen Mord handelt.«
»Dann werden wir im Augenblick nichts weiter unternehmen«, entschied Kommissar Bland. »Die Tatsache wird sich sowieso schnell genug herumsprechen«, fügte er zynisch hinzu. Er überlegte wiederum einen Moment, bevor er fragte: »Wie viele Leute sind zu diesem Fest gekommen?«
»Ungefähr zweihundert«, antwortete Sir George, »und es kommen ständig weitere Besucher. Die Leute scheinen von ziemlich weither zu kommen – das Ganze ist ein Riesenerfolg. Verfluchtes Pech!«
»Zweihundert – und jeder von ihnen könnte es getan haben.«
»Schwierige Sache«, meinte Sir George. »Ich kann nur nicht begreifen, aus welchem Grund dieser Mord verübt worden ist. Es ist einfach unvorstellbar – wer sollte ein Interesse daran haben, dieses junge Mädchen umzubringen?«
»Was können Sie mir über das Mädchen erzählen? Es lebte, wie ich höre, ganz in der Nähe.«
»Ja, seine Eltern wohnen in einem der kleinen Häuser unten am Kai. Der Vater arbeitet auf einem der umliegenden Güter – ich glaube bei Patersons. Die Mutter ist zum Gartenfest hergekommen«, fügte er hinzu. »Aber Miss Brewis, meine Sekretärin weiß über das alles viel besser Bescheid als ich. Sie hat die Frau bereits beiseite genommen und ihr Tee gemacht.«
»Sehr gut«, meinte der Kommissar beifällig. »Ich bin mir noch nicht ganz über die Bedeutung dieser Angelegenheit im klaren, Sir George. Was hatte das Mädchen im Bootshaus zu suchen? Wie ich höre, findet hier eine Art Mörderjagd als Gesellschaftsspiel statt?«
Sir George nickte.
»Ja, und wir hielten es alle für eine großartige Idee – jetzt scheint sie nicht mehr ganz so großartig. Aber Miss Brewis kann Ihnen das alles wirklich viel besser erklären als ich. Soll ich sie zu Ihnen schicken? Oder möchten Sie mir zuerst noch andere Fragen stellen?«
»Im Augenblick nicht, Sir George, aber vielleicht später. Ich möchte mit verschiedenen Leuten sprechen: Mit Lady Stubbs, mit jenen, die die Leiche entdeckt
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