Wiedersehen mit Mrs. Oliver
bin unglücklicherweise nicht derjenige, den Sie treffen wollten?«
Inzwischen hatte sie sich wieder in der Gewalt.
»Hat man am helllichten Vormittag ein Rendezvous?«, fragte sie.
»Manchmal ist das die einzig mögliche Zeit – Ehemänner sind oft eifersüchtig.«
»Ich bezweifle, dass meiner eifersüchtig ist«, versetzte Sally Legge.
Obwohl sie die Worte leichthin sagte, glaubte Poirot, einen bitteren Unterton herauszuhören.
»Er ist so völlig mit seinen eigenen Problemen beschäftigt.«
»Das behaupten alle Frauen von ihren Männern, ganz besonders in England«, bemerkte Poirot.
»Ihr Ausländer seid viel galanter.«
»Wir wissen, dass man einer Frau mindestens einmal in der Woche, wenn möglich öfter, versichern muss, dass man sie liebt, und dass es sich lohnt, ihr Blumen mitzubringen, ihr Komplimente zu machen und ihr zu sagen, wie gut ihr das neue Kleid oder der neue Hut steht.«
»Ist das Ihre Methode?«
»Ich bin nicht verheiratet, Madame. Leider nicht«, fügte er hinzu.
»Ich bin davon überzeugt, dass Sie es nicht bereuen, sondern dass Sie es genießen, ein sorgloser Junggeselle zu sein.«
»Nein, nein, Madame. Ich habe das Gefühl, vieles im Leben versäumt zu haben.«
»Ich finde, es ist Wahnsinn, zu heiraten«, erklärte Sally Legge.
»Haben Sie Sehnsucht nach Ihrem Atelier in Chelsea und nach der Malerei?«
»Sie scheinen gut über mich Bescheid zu wissen, M. Poirot.«
»Ich selbst bin geschwätzig, und ich höre gern Klatsch über andere Leute«, gestand Hercule Poirot. Er fuhr fort: »Sehnen Sie sich nach dieser Zeit, Madame?«
»Das weiß ich wirklich nicht«, sagte sie ungeduldig und setzte sich auf die Bank. Poirot nahm neben ihr Platz.
Er war darauf vorbereitet, wieder einmal den sonderbaren Fall zu erleben, dass ihm ein reizvolles Mädchen Dinge anvertraute, die sie einem Engländer gegenüber nie erwähnen würde.
»Ich hoffte, dass hier, fern von den Sorgen des Alltags, alles wieder gut werden würde zwischen uns«, begann das hübsche Rotköpfchen. »Leider ist es nicht so gekommen.«
»Nein?«
»Nein. Alec ist so launisch wie immer, und – es ist schwer zu erklären – ausschließlich mit sich und seinen Problemen beschäftigt. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Er ist nervös und gereizt. Leute rufen an und hinterlassen sonderbare Nachrichten für ihn, und er weigert sich, mir zu sagen, um was es sich handelt. Darüber bin ich so wütend! Er will mir nichts sagen! Zuerst dachte ich, es gäbe eine andere Frau in seinem Leben, aber davon bin ich eigentlich abgekommen …«
Poirot bemerkte jedoch sofort einen gewissen Zweifel in ihrer Stimme.
»Haben Sie Ihre Teepause gestern Nachmittag genossen, Madame?«
»Die Teepause?« Sie sah ihn stirnrunzelnd an. Ihre Gedanken waren scheinbar in eine ganz andere Richtung geschweift. Dann sagte sie hastig: »Ja, sehr. Sie haben keine Ahnung, wie anstrengend es ist, stundenlang mit einem Schleier vorm Gesicht in dem stickigen Zelt zu sitzen.«
»Im Teezelt muss es auch ziemlich stickig gewesen sein.«
»Allerdings, aber es gibt nun mal nichts Schöneres als eine Tasse Tee, nicht wahr?«
»Sie haben eben etwas gesucht, Madame – könnte es vielleicht das hier sein?« Er zeigte ihr den kleinen goldenen Anhänger.
»Sie meinen … Ja, natürlich, M. Poirot. Vielen Dank. Wo haben Sie ihn gefunden?«
»Hier auf dem Fußboden, in diesem Sprung.«
»Da muss er wohl hinuntergefallen sein.«
»Gestern?«
»O nein, nicht gestern – vor einiger Zeit.«
»Aber ich entsinne mich, gerade diesen Anhänger an Ihrem Armband bemerkt zu haben, als Sie mir gestern die Zukunft voraussagten.«
Niemand konnte eine offensichtliche Lüge schneller erkennen als Poirot. Er sprach mit Überzeugung, und Sally Legge senkte ihren Blick.
»Ich kann mich wirklich nicht genau erinnern; ich weiß nur, dass ich den Verlust heute Morgen bemerkte«, erklärte sie.
»Auf jeden Fall freut es mich, Ihnen Ihr Eigentum zurückerstatten zu können«, meinte Poirot galant.
Sie drehte den Anhänger nervös zwischen den Fingern. Dann stand sie auf.
»Also vielen Dank, M. Poirot; vielen Dank«, sagte sie schweratmend und mit unruhigen Augen. Dann verließ sie schnell das Folly. Poirot lehnte sich zurück und nickte langsam mit dem Kopf.
Nein, dachte er, du bist gestern Nachmittag nicht im Teezelt gewesen, und du hast mich nicht so ängstlich gefragt, ob es schon vier Uhr sei, weil du solchen Durst hattest. Gestern Nachmittag bist du hier gewesen,
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