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Wiedersehen mit Mrs. Oliver

Wiedersehen mit Mrs. Oliver

Titel: Wiedersehen mit Mrs. Oliver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Augenblick ungläubig an, dann sagte sie: »M. Poirot? Sie?«
    Im ersten Augenblick glaubte er, Furcht in ihren Augen zu entdecken, aber wahrscheinlich war das Einbildung. Er fragte höflich: »Darf ich hereinkommen, Madame?«
    »Aber natürlich.«
    Sie hatte ihre gewohnte Selbstsicherheit wiedergefunden und bedeutete ihm mit einer Geste, ihr in das kleine Wohnzimmer zu folgen. Auf dem Kaminsims standen einige entzückende Chelsea-Porzellanfiguren, zwei Sessel waren mit auserlesener Petit-Point-Stickerei bezogen, und auf einem kleinen Tisch stand ein Teeservice aus zartem Derby-Porzellan.
    »Ich hole noch eine Tasse«, sagte Mrs Folliat.
    Poirot hob seine Hand in schwachem Protest, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
    »Natürlich müssen Sie eine Tasse Tee trinken.«
    Sie verließ das Zimmer, und er blickte sich nochmals um. Auf dem Tisch lag eine Handarbeit – ein Petit-Point-Kissenbezug, in dem eine Sticknadel steckte. An der einen Wand stand ein Büchergestell; darüber hing eine kleine Gruppe von Miniaturen und die vergilbte, silbergerahmte Fotografie eines Mannes in Uniform mit einem steifen Schnurrbart und einem schwachen Kinn. Mrs Folliat kam mit einer Teetasse und einem Teller in der Hand ins Zimmer zurück.
    »Ihr Gatte, Madame?«, erkundigte sich Poirot.
    »Ja.«
    Als sie bemerkte, dass Poirots Blick über das oberste Fach des Büchergestells schweifte, sagte sie schroff:
    »Ich mache mir nichts aus Fotografien, weil sie einen zu sehr an die Vergangenheit erinnern. Man muss lernen, zu vergessen und in der Gegenwart zu leben. Man muss das tote Holz ausmerzen.«
    Poirot dachte an sein erstes Zusammentreffen mit Mrs Folliat; sie war damit beschäftigt gewesen, mit einer großen Gartenschere eine Hecke zu stutzen, und auch damals hatte sie etwas von ›totem Holz‹ gesagt. Er betrachtete sie nachdenklich und versuchte, ihren Charakter zu ergründen. Eine rätselhafte Frau, dachte er, eine Frau, die trotz ihrer zarten, gebrechlichen Erscheinung rücksichtslos und unbarmherzig sein kann, eine Frau, die imstande ist, das tote Holz auch aus ihrem eigenen Leben auszumerzen …
    Sie setzte sich, goss ihm eine Tasse Tee ein und fragte:
    »Milch? Zucker?«
    »Würden Sie so gut sein, mir drei Stück Zucker zu geben, Madame.«
    Sie reichte ihm die Tasse und sagte in leichtem Unterhaltungston:
    »Ich war überrascht, Sie wiederzusehen; ich hätte kaum geglaubt, dass Sie so bald wieder in diese Gegend kommen würden.«
    »Ich bin nicht auf der Durchreise, Madame.«
    »Nein?« fragte sie mit leicht erhobenen Augenbrauen.
    »Ich bin aus ganz bestimmten Gründen hier.«
    Sie blickte ihn noch immer fragend an.
    »Teilweise gilt mein Besuch Ihnen, Madame.«
    »Tatsächlich?«
    »Zunächst einmal wollte ich Sie fragen, ob man nichts über den Verbleib der jungen Lady Stubbs gehört hat.«
    Mrs Folliat schüttelte den Kopf.
    »Neulich ist in Cornwall eine Leiche an Land geschwemmt worden«, sagte sie. »George fuhr hin, um zu sehen, ob er sie identifizieren könnte – aber es war nicht Hattie. George tut mir entsetzlich Leid«, fügte sie hinzu. »Es ist eine furchtbare Belastung.«
    »Glaubt er noch immer, dass seine Frau am Leben sein könnte?«
    Mrs Folliat schüttelte traurig den Kopf.
    »Ich glaube, er hat die Hoffnung aufgegeben«, meinte sie. »Wenn Hattie noch am Leben wäre, könnte sie sich unmöglich so lange versteckt halten, während die Polizei und die gesamte Presse nach ihr suchen. Selbst wenn sie an plötzlichem Gedächtnisschwund litte, hätte die Polizei sie doch sicher längst gefunden, nicht wahr?«
    »Man sollte es jedenfalls annehmen«, erwiderte Poirot.
    »Setzt die Polizei die Suche fort?«
    »Ich glaube, aber ich weiß es nicht genau.«
    »Aber Sir George hat die Hoffnung aufgegeben.«
    »Gesagt hat er das nicht«, erklärte Mrs Folliat. »Ich habe ihn auch in der letzten Zeit nicht gesehen, er ist oft in London.«
    »Und über den Mord an dem jungen Mädchen hat man auch nichts erfahren?«
    »Nicht dass ich wüsste. Es war ein völlig sinnloses Verbrechen, ganz unerklärlich«, fügte sie hinzu. »Armes Kind!«
    »Ich sehe, dass der Gedanke daran Sie noch immer erregt, Madame.«
    Mrs Folliat antwortete ihm nicht gleich. Schließlich meinte sie: »Wenn man alt ist, bringt einen der Tod eines so jungen Wesens über Gebühr aus der Fassung. Wir Alten erwarten den Tod, aber dieses Kind hatte sein ganzes Leben noch vor sich.«
    »Vielleicht kein sehr interessantes Leben …«
    »Von unserem

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