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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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die Pusche entgegen, in eiligen Geschäften glücklicherweise und kaum überrascht. Novak hingegen, mit den neuesten Protokollen unter dem Arm auf dem Weg in das Bureau Professor Hähnleins, nahm ihr außerdienstliches Erscheinen, kommentarlos zwar, doch verkniffen zur Kenntnis. Es bewog sie, ihre Bitte um eine beiläufige Visitation ihres Vaters auf den Abend zu verschieben.
    Im Grunde war es dumm, jenen kurzen Moment abzupassen, bis kein Mensch mehr zu sehen war. Niemand würde es verdächtig finden, wenn sie sich an den Wäscheschränken zu schaffen machte, zumal diese endlich mit nagelneuen Beständen aufgefüllt waren. Die Geldmittel der Fjodorowna hatten nach einem langen Weg durch die preußische Bürokratie nun doch endlich zu ihrer Bestimmung gefunden. Helene nahm nicht einmal von den neuen Wäschestücken und im Ganzen nur je zwei Hemden und Brustjäckchen,
zwei leinerne Häubchen und ein halbes Dutzend Windeln. Denn die hauchfeinen bestickten Batisthemdchen und die spitzenbesetzten Häubchen hatte sie Fräulein von Helmer, weitere Fragen fürchtend, die sie nicht hätte beantworten dürfen, gleich wieder mitgegeben.
    Möglich, dass ihre Übervorsicht unnötig war. Unsäglich in jedem Fall, was sie tat. In wenigen Wochen würde sie die Sachen wieder zurückbringen.
    Mit ihrer Hebammentasche verließ Helene die Charité. Für heute würde sie es wieder nicht auf den Mühlenberg schaffen, denn sie hatte Arzneimittelkunde bei Professor Fried auf dem Plan und danach Materia Medica bei Professor Creutzfeld.
    Die grelle Wintersonne am kalten Himmel über Berlin trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie musste sich darauf verlassen, dass Sidonie alles richtig machte.

    Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was die Frauen so lange zu reden hatten. Zudem ging ein Wind, wie er ihn schlimmer aus Wien nicht kannte. Und wenn er es so bedachte, sehnte er sich ein wenig dorthin zurück, trotz seiner Niederlagen. Wenn er zu Geld kommen würde, stünde ihm Wien wieder offen.
    Seit ihn Sidonies Brief erreicht hatte, hielt Friedo wieder eine Menge für möglich, auch dass Celestine Einfluss auf die Elemente genommen haben könnte, damit sämtliche Windflügel auf diesem unwirtlichen Mühlenberg rumpelnd in Bewegung gerieten und er kein Wort verstehen konnte von dem, was die Weibsbilder einander da oben mitzuteilen hatten.

    Das Ländliche ging ihm ohnehin auf die Nerven, immer schon. Als er vor mehr als einer Stunde die erste der unzähligen Mühlen durch das Droschkenfenster erblickte, hatte es ihn ernstlich enerviert, und Celestine hatte leise gelacht.
    Er setzte vollkommen auf sie.
    Friedo saß am Feuer und rauchte. Wenn er an der Wiege vorbei aus dem kleinen Fenster sah, schob sich ihm stetig das Ende eines hölzernen Mühlenflügels ins Blickfeld, nur um wieder zu verschwinden, während der nächste ihm folgte, und immer so fort. Es machte ihn melancholisch und müde.
    Seltsam, wie wohl Sidonie sich hier offenbar fühlte. Es musste doch etwas auf sich haben mit der Binsenwahrheit, dass in jeder Hure ein häuslicher Charakter schlummerte. Sie war eine entzückende kleine Hausfrau. Sie hatte ihm Kaffee aufgebrüht und den Lehnstuhl ans Feuer gerückt. Ihre Mutterschaft blieb ihm dagegen sehr fremd. Umso interessanter war, was sie von Celestine wollte.
    Friedo streckte die Beine aus und blies den Rauch an die Deckenbalken. Ihm war verstörend behaglich.
    Zurück zu den Plänen. Das Gesetz des Milieus, welches lautete, dass schlechte Bekanntschaften lukrative Geschäfte hervorbrachten, griff für ihn nicht. Für das, was ihm vorschwebte, brauchte er Geld und beste Kontakte, Verbindungen zur höheren Gesellschaft. Doch diese, das schwante ihm schon länger, waren nicht damit zu gewinnen, dass er Kaffee im Hotel de Rome trank. Und um Celestine dort anzubieten, war dieser Ort zu öffentlich. Mit Perdita würde er nirgendwohin kommen. Sie war ein Gewächs der Königsmauer, in deren Schatten sie zweifellos zu einer Größe herangewachsen war, die andere überragen mochte, aber im Ganzen dennoch kümmerlich war. Vermutlich reichte nicht einmal
ihr Geld, wobei zu bedenken war, dass er inzwischen einiges davon verbraucht hatte.
    Ein murksendes Geräusch unterbrach den Fluss seiner haltlos dahintreibenden Gedanken. Es war eines der Kinder, das sich regte. Friedo stand auf. Es war das blonde, das die Augen geöffnet hatte. Ob alle Kinder blauäugig waren, oder traf das nur auf Katzen zu?
    Das Kind bewegte sich. Es begann

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