Wiegenlied Roman
die beunruhigend kleinen Gliedmaßen zu ringen. Friedo gab der Leinenschaukel einen unbeholfenen Stoß. Es kam ihm völlig absurd vor, was er tat.
Gleichzeitig glühte der Zigarillo in seinen Fingern dem Ende entgegen. Friedo zuckte, als die Glut seine Haut erreichte. Ärgerlich schnippte er das Ding ins Feuer. Während das Kind zu brüllen begann, erklomm Friedo die Stiege.
»Elsa Heuser ist ihre Schwester«, hörte er Sidonie sagen, als er oben die Tür aufstieß, klar und ohne zu flüstern. »Sie ist Hofschauspielerin. Vielleicht hat es damit zu tun?«
Celestine, die neben ihr auf dem Bett saß, hielt ein hauchzartes Gebilde in den schwarzen Händen. So wie er die Sache sah, war es mit kleinen Käfern bestickt.
»Gib es mir«, sagte er.
»Willst du, dass er es haben soll?«, fragte Celestine.
Sidonie zuckte die Schultern.
»Ich vertraue dir«, sagte sie. »Warum nicht auch ihm?«
Elf
ZWEIUNDZWANZIG TAGE
IM DEZEMBER 1828
TAG EINS
Es störte sie nicht, dass Eveline ihre Tränen sah. Sie steckte ihr weiter die Haare hoch und arbeitete mit weißem Puder gegen ihre geröteten Augen an. Sie liebte diese seltsam fatalistische Bedienstete in einem flüchtigen Moment dafür.
Den Brief hielt Elsa noch immer fest, der Bogen zitterte in ihrer Hand, die Tinte war an manchen Stellen verlaufen. Er hatte eine sehr gleichmäßige Schrift.
Das Perlenhalsband mit dem Amethystanhänger lag unberührt in der geöffneten Samtschatulle.
Der König hielt sich mit seiner Entourage seit Tagen in Paretz auf, das wusste sie. Der Rest war ihr für heute egal.
Hersilie war in Neukölln, um in der Manufaktur nach dem Rechten zu sehen, was bedeutete, dass man ihr die Bücher vorlegte. Sie tat dies jeden dritten Montag im Monat, sofern sie nicht in Pyrmont oder in Teplitz weilte, denn so hatte sie es Stopfkuchen selig versprechen müssen. Hersilie hielt sich akribisch daran, alles andere konnte womöglich Unglück bringen.
»Hol mir den Pelz, Eveline. Wenn sie fragt, sag ihr, man hat mich ins Palais rufen lassen.«
Ihrer Ansicht nach war es nicht einmal gelogen. Was er getan hatte, konnte Elsa nicht glauben. Nun würde sie etwas Unglaubliches tun.
Zum Prinzenpalais waren es zu Fuß nur fünfzehn Minuten. Die kalte Luft tat ihr gut. Der Himmel war wieder einmal grau über Berlin, und zum ersten Mal roch es nach Schnee.
Es fiel ihr nicht schwer, passend aufzutreten, um an den Wachen vorbei sofort zum Adjutanten vorzudringen. Sie wusste ihren Charme mit Würde einzusetzen. Sie wurde umgehend gemeldet, denn offenbar waren einer Künstlerin gewisse Verstöße gegen die höfische Etikette nachzusehen.
Wilhelm Ludwig empfing sie im Ankleidezimmer. Vielleicht eine letzte Reminiszenz an ihre Affäre, die er heute mit Brief und Perlen beendet hatte. Vor seinem kleinen, sehr persönlichen Hofstaat schien er nichts verbergen zu müssen.
Er fuhr sich mit den Händen über die glatt gebürsteten Locken. »Wie gefällt dir der Schmuck? Der Amethyst stammt aus Brasilien.«
»Ich werde ihn niemals tragen.«
Er lächelte.
»Das sagst du heute. Du wirst deine Meinung ändern.«
Sie hätte ihn gern geschlagen.
Durch eine Tapetentür neben dem mannshohen Spiegel glitt der Kammerdiener herein. Er brachte Reitmantel, Handschuhe und Fellmütze.
»Sie werden mich entschuldigen müssen, Mademoiselle, sosehr ich die Ehre Ihres Besuchs zu schätzen weiß. Mein Vater und die Fürstin erwarten mich in Paretz.«
Seelenruhig ließ er sich in den langen, grauen Wollmantel helfen. Der Kammerdiener musste sich recken bis auf die
Zehenspitzen. Er war uralt. Vielleicht war er taub. Sie würde es gleich wissen.
»Ich erwarte ein Kind von dir«, sagte sie.
Wie geschmeidig ihr die Lüge über die Lippen kam. Wo sie doch genauestens wusste, dass sie vor den Zufällen einer Schwangerschaft für immer geschützt sein würde. Die Worte des Arztes hatten, so wie es vermutlich seine Absicht gewesen war, durchaus den Weg an ihr Ohr gefunden, damals auf Gut Vredow, während er Malvine ins Bild gesetzt hatte.
Die Nachricht hatte sie zu keinem Zeitpunkt traurig gemacht.
Wilhelm Ludwig neigte den Kopf und schaute aus dem Fenster. Der Diener reichte ihm Handschuhe und Degengurt an.
»Hoffe, es wird nicht so bald schneien.«
Es war, als hätte sie ihm den Stand des Barometers mitgeteilt.
Den Alten entließ er mit einem freundlichen Nicken.
»Selbstverständlich werde ich für die Pflege des Kindes aufkommen«, sagte er, als der Mann verschwunden war. »Du wirst
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